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Stolpersteine für NS-Opfer der Sektion enthüllt - bewegende Tage mit Besuchern aus den USA

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Die Stolpersteine für Ernst Meissinger, seine Mutter Rosa und die Geschwister Lilli, Hans und Maria, Hadrianstraße 5. Quelle: Frank Schumann

Es war eine Premiere, die wir alle nicht vergessen werden. Erstmals hatte unsere Sektion "Stolpersteine" gestiftet für ein früheres, von den Nationalsozialisten verfolgtes Mitglied und seine Familie. Die fünf Stolpersteine für Ernst Meissinger, seine Mutter und seine Geschwister wurden Ende Juni feierlich enthüllt, und es war eine große Freude für uns, dass anlässlich der Zeremonie eigens Ed und John Breitinger aus den USA nach Frankfurt gekommen waren. Die beiden, selbst passionierte Bergsportler, sind Nachfahren der Meissingers und leben in Santa Fe, New Mexico.

Wir als Vertreter*innen des Sektionsteams "Spurensuche Nationalsozialismus" und Frank Schumann vom Vorstand konnten in den Tagen ihres Besuchs viele Stunden mit ihnen verbringen. Es war von Anfang an ein herzlicher, intensiver Austausch, über die Familiengeschichten, Bergerlebnisse, die politische Vergangenheit und Gegenwart. Kontakte sind entstanden, die hoffentlich bleiben werden. John hat treffende Worte dafür: "Es fühlt sich an, als lebe eine lange verlorene Freundschaft wieder auf."

Die Sektion konnte die fünf Stolpersteine auf der Basis der Recherchen des Teams "Spurensuche Nationalsozialismus" spenden. Demnach war unser früheres Mitglied Ernst Meissinger 1935 aus der Sektion ausgeschlossen worden, weil seine Mutter jüdische Eltern hatte. Er selbst und seine Geschwister Lilli, Hans und Maria (genannt Marlies, später verheiratete Breitinger) waren protestantisch getauft. Ernsts Mutter Rosa und die Geschwister erlitten ebenfalls erhebliche Verfolgung, überlebten aber die NS-Zeit und emigrierten 1947 in die USA.

John und Ed Breitinger (v.l.) legen Blumen vor dem Haus Hadrianstr. 5 nieder. Rechts Martin Dill, Initiative Stolpersteine. Quelle: Jens Hoppe

Die Stolpersteine liegen nun vor dem Haus Hadrianstraße 5 in Frankfurt-Römerstadt und erinnern an die früheren Bewohner*innen. Organisiert wurde die Zeremonie, an der etwa 40 Interessierte teilnahmen, von der Initiative "Stolpersteine Frankfurt" um ihren Vorsitzenden Martin Dill. Dafür bedanken wir uns herzlich.

Die Stolpersteine als bleibender Gedenkort bedeuten den Nachfahren sehr viel. Das war bei der Zeremonie in der Hadrianstraße deutlich spürbar: Ed und John konnten irgendwann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Aus Erzählungen ihrer Mutter wussten sie zwar schon viel von früher. "Aber jetzt stehen wir hier, wo es war, wo sie gelebt haben", sagte Ed, "alles ist plötzlich ganz nah, überwältigend."

Die beiden Besucher aus Santa Fe machten bei der Feier auch weitere bewegende Begegnungen. In die Römerstadt gekommen waren auch Nikolaus und Stephanie Herrmann, sie hatten aus den Medien von der Veranstaltung erfahren. Ihre Tante Emmi Dorn war eng mit Eds und Johns Mutter Marlies Meissinger-Breitinger befreundet, beide besuchten die Elisabethenschule. Auch nach dem Krieg hielt die Freundschaft der Frauen und sie besuchten sich oft. Ed und John tauschten Adressen mit den Herrmanns aus, alte Bande wurden neu geknüpft.

Sektionsvorstand Frank Schumann (l.) erinnert an das frühere Mitglied Ernst Meissinger und seine Familie. Quelle: Jens Hoppe

Im Namen der Sektion würdigte Vorstandsmitglied Frank Schumann das Engagement des Alpinisten Ernst Meissinger für den damaligen Verein. Schumann beschrieb seinen Ausschluss und die Kollaboration der Sektion mit dem NS-System: "Man wollte die Existenz des Vereins retten. Dafür wurde die Loyalität gegenüber den jüdischen Mitgliedern geopfert." Heute stelle sich die Sektion ihrer Vergangenheit, auch mittels der "Spurensuche". Das sei auch als Zeichen in die Gegenwart zu verstehen, in der Rechtsextremismus, so Schumann, ,,als größte Gefahr für die Demokratie eingeschätzt wird". In diesem Sinne werde die Sektion sich weiter engagieren und "hoffentlich noch viele weitere Stolpersteine beitragen können".

Sehr schön war, dass auch Schüler und Schülerinnen des Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums mit ihrem Lehrer an der Stolperstein-Zeremonie teilnahmen. Denn Ernst Meissinger hatte auf dem früheren Kaiser-Friedrich-Gymnasium 1928 Abitur gemacht. Die Schüler hatten im Schularchiv gewühlt und waren fündig geworden. Sie überreichen Ed und John ein Zeugnis ihres Onkels und eine von ihm verfasste frühen Hausarbeit über "Verkehrswege über die Alpen". Ernst Meissinger habe immer beste Noten gehabt, haben die jungen Leute recherchiert.

Während ihres Besuchs in Frankfurt statteten die Breitinger-Brüder auch dem Sektions-Kletterzentrum in Preungesheim einen Besuch ab und waren sehr begeistert. Mit unserem Verein teilen sie auch die Liebe zum Klettern und Outdoorsport: Santa Fe ist umgeben von hohen Gipfeln und liegt selbst auf 2000 Metern Höhe. Bergsteigen, Wandern, Mountainbiken, Fischen begleiten Ed und John schon ihr Leben lang: "Der Outdoorsport", sagt John, "war das Erbe unseres Onkels Ernst. Und unsere Mutter hat es uns weitergegeben."

V.l.: Martin Dill, John und Ed Breitinger, Frank Schumann, Stephanie und Nikolaus Herrmann. Quelle: Ursula Rüssmann

Zum Schluss noch ein dickes Lob für die ehrenamtliche Initiative "Stolpersteine Frankfurt": Sie hat Ende Juni die Verlegung und Enthüllung von insgesamt rund 70 Stolpersteinen für Opfer der Nationalsozialisten organisiert, etwa hundert Nachfahrinnen und Nachfahren aus vielen Ländern der Welt kamen zu den Feierlichkeiten an den Main. Ein Mammut-Engagement, für das die Initiative viel Respekt und Unterstützung verdient.

Einzelheiten zu Ernst Meissinger und seiner Familie findet ihr hier.

Infos zur Initiative "Stolpersteine Frankfurt" hier.

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