Walther Joseph Kutz wurde am 8.Dezember 1904 in Frankfurt geboren. Sein Vater war der angesehene Frankfurter Arzt Dr. Arthur Kutz, seine Mutter Rosa (geb. Ederheimer), beide Eltern waren jüdischer Herkunft. Walthers jüngere Schwester Elisabeth kam am 25. Januar 1910 zur Welt.
Wir wissen, dass Walther sein Abitur am Kaiser-Friedrich-Gymnasium (das heutige Heinrich-von-Gagern-Gymnasium) machte. Sein damaliger Mitschüler, der spätere Arzt Hermann Kerger, berichtete später der Autorin Petra Bonavita, dass der jüdische Familienhintergrund Kutz" den anderen Schülern nicht bekannt war, weil bei ihm in den Akten "Religion: freireligiös" festgehalten gewesen sei. Später im Studium gab Kutz als Religionszugehörigkeit "dissident" an, was soviel bedeutete wie "keiner Religionsgemeinschaft angehörend".
Kerger berichtete ferner, dass die Familie Kutz in Frankfurt in der Staufenstraße "eine schöne Villa" bewohnte: "Nach bestandenem Abitur wurde die ganze Klasse in das Kutz"sche Haus eingeladen. Es war ein sehr gelungener, feucht-fröhlicher Abend!" Walther Kutz habe mit ihm zusammen ein Medizinstudium begonnen, "konnte aber das Milieu im anatomischen Präpariersaal nicht vertragen und brach zum Leidwesen seines Vaters das Medizinstudium ab." Kutz wechselte dann zum Studium der Wirtschaftswissenschaften. Die Frankfurter Universität verließ er offenbar 1926, nach etwa zwei Semestern Medizin und drei Semestern Wirtschaftswissenschaften. 1930 hielt er sich zum Studium in London auf. Ob, wann und wo er einen Abschluss machte, ist uns bisher nicht bekannt.
Walther Kutz trat 1924 in die Frankfurter Sektion des Deutschen Alpenvereins ein, in dem sein Vater zu der Zeit bereits Vorstandsmitglied war. Wir wissen bisher nicht, an welchen Aktivitäten Walther Kutz teilgenommen hat, auch haben wir derzeit keine Informationen, ob er 1933 noch Mitglied war oder nicht. Wenn das der Fall war, hätte er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Gleichschaltung des Vereins nach Satzungslage 1933/34 ausgeschlossen werden müssen.
Welche Repressalien im Einzelnen Walther Kutz durch die Nationalsozialisten erfuhr, konnten wir bisher nicht herausfinden. Wir wissen aber, dass er bereits 1935 mit seiner Schwester Elisabeth von Bremen aus per Schiff vorübergehend in die USA reiste, möglicherweise aus geschäftlichen Gründen. Als Beruf gab er für das Schiffsticket "Kaufmann" an. 1937 siedelte er endgültig in die USA über, er reiste am 30. Januar von Southampton aus auf der SS Washington und traf am 4.2.1937 in New York ein. Im Mai füllte er die sogenannten First Papers aus, die Beantragung der Einbürgerung (s.u., Download-Link). Zu dem Zeitpunkt lebte er schon in San Francisco, Kalifornien. Als letzten dauerhaften Aufenthaltsort außerhalb der USA gab er London an und machte in der Rubrik "race" die Angabe "hebrew".
Nach unseren Informationen lernte Kutz seine spätere Ehefrau Ella Kende (Einzelheiten zu ihr weiter unten) noch in Frankfurt kennen. Sie war am 3. Juni 1907 als Ella Ballin geboren und hatte ebenfalls einen jüdischen Familienhintergrund. In den 30ern hatte sie bereits eine Tochter aus erster Ehe namens Anneliese Kende (geb. am 4. Juni 1928 in Wien). Ella Kende reiste den First Papers zufolge (s. Download-Link) 1937 per Schiff von Le Havre aus in die USA ein, nicht gemeinsam mit Walther Kutz. Im Februar 1938 heirateten Walther und Ella. Ihre Tochter Anneliese, die erst später – möglicherweise mit den Großeltern – in die USA kommen konnte, wurde von Walther Kutz adoptiert und ließ sich in Anna Lee Kutz umbenennen. Die Familie lebte in Santa Monica, Los Angeles, Kalifornien, in der 16th Street. Ellas Eltern Georg und Margarethe Ballin lebten nach ihrer Emigration 1940 aus Deutschland unter der gleichen Adresse bei ihnen. Allerdings verstarb Margarethe Ballin bereits 1941.
Walther und Ella Kutz betrieben nach unseren Informationen ein Fotogeschäft. 1941 immigrierten auch Walthers Eltern Arthur und Rosa Kutz in die USA, sie ließen sich ebenfalls in Santa Monica nieder, nur knapp drei Kilometer entfernt. Etwa 1944 wurden Walther Kutz und seine Frau eingebürgert.
Darüber hinaus haben wir bisher kaum Kenntnisse über das Schicksal von Walther Kutz. Er war derjenige, der 1947 den Tod seines Vaters Arthur meldete. Bereits im Mai 1948 verstarb Walther Kutz im Alter von nur 43 Jahren. Seine Ehefrau Ella verstarb 1981. Anna Lee (Anneliese) Kutz heiratete im Laufe ihres Lebens dreimal und starb im Juli 1994, einen Monat vor ihrem letzten Ehemann Robert May.
Ella Kutz-Ballin war nicht Mitglied im Frankfurter Alpenverein, dennoch widmen wir ihrer Familie hier ein Kapitel, weil diese in mehrfacher Weise von Verfolgung betroffen war und wir über sie auch wichtige Informationen über Walther Kutz bekommen haben. Ella hatte zwei Schwestern, Lieselotte (Elisabeth Charlotte, genannt Lilo) und Susanne. Die drei lebten schon zu Beginn der 30er Jahre weit verstreut über verschiedene europäische Länder, nach teils dramatischen Verfolgungs- und Fluchtjahren emigrierten am Ende alle drei in die USA.
Ella Ballin war die älteste Tochter von Georg Ballin und seiner Frau Karoline Margarethe, geb. Groebel. Das jüdische Ehepaar lebte in Frankfurt und betrieb die Firma J. Reihing-Schreiber für Kleider- und Damenhütefabrikation. Ella wuchs in Sachsenhausen auf und besuchte die Schillerschule, wie auch ihre Schwestern. Später zog die Familie in die Schumannstr. 10.
Ella Ballin heiratete im Oktober 1927 in Frankfurt den Buchhändler Eugen Walter Kende, der aus Budapest stammte. Das Paar zog nach Wien und führte dort ab 1927 die traditionsreiche Wallishausser"sche Buchhandlung. Dort scheint vor allem Theater- und Musikliteratur vertrieben worden zu sein, außerdem Esperanto-Literatur. Wohl bedingt durch die Wirtschaftskrise und damit verbunden den schwindenden Buchmarkt, mussten die Kendes Ende 1933 Insolvenz anmelden. Das Paar trennte sich, Ella ging mit ihrer Tochter Anneliese zurück nach Frankfurt und Kende wohl zurück nach Budapest.
Ellas Schwester Lilo heiratete 1929 den aus einer wohlhabenden, einflussreichen Familie stammenden Niederländer Jesaja Benjamin Lissaur und ging mit ihm nach Amsterdam. 1930 wurde die Tochter Engelina geboren. Sie besuchte in Amsterdam die Montessori-Schule. Nach Angaben der niederländischen Gedächtnisplattform Joodsmonument.nl lebte in den Jahren 1936/1937 Ellas Tochter Anneliese bei den Lissaurs, möglicherweise aufgrund der wachsenden Gefahr in Deutschland und weil ihre Mutter die Ausreise in die USA vorbereitete. Allerdings trennten sich die Lissaurs 1937, und Anneliese ging zurück nach Deutschland.
Nach dem deutschen Einmarsch in den Niederlanden wurde auch für Lilo und Engelina die Lage gefährlich. Sie konnten einige Jahre unter großen Mühen in Verstecken leben, bis sie 1944 entdeckt wurden und eine qualvolle Odyssee durch mehrere Konzentrationslager begann: Vom niederländischen Transitlager Westerbork kamen sie ins KZ Ravensbrück, dann nach Bergen-Belsen, wo sie den Winter über gefangen waren. Engelina war schon sehr geschwächt, da folgte der Transport ins KZ Neuengamme. Mutter und Tochter litten beide an Typhus.
Ein weiterer Transport im Mai 1945 schließlich, so Joodsmonument.nl, erreichte sein Ziel wegen des Kriegsendes nicht mehr: Der Zug wurde angehalten und die Insassen befreit. Lilo und ihre Tochter wurden nach Schweden gebracht und medizinisch versorgt, doch für Engelina kam die Hilfe zu spät: Sie starb an den Folgen der Internierung im Juni 1945. Sie ist in Malmö bestattet. Lilo Ballin emigrierte im Oktober 1946 in die USA, wo sie zunächst bei Ella und Walther Kutz und den Eltern in Santa Monica lebte. Sie starb 1994.
Susanne Ballin, 1910 geboren und die jüngste der drei Schwestern, emigrierte mit ihrem Lebensgefährten Bruno Scheidt bereits 1933 nach Paris. Dort heirateten sie 1936. Bruno Scheidt gründete eine Lebensmittel-Importfirma namens Établissements Roland.Da es in den Folgejahren immer gefährlicher wurde, flohen sie 1939 in die USA. Dort baute das Paar die Firma Roland Foods auf und zum internationalen Unternehmen aus. 1966 starb Susanne Ballin mit nur 56 Jahren. Ihr 1943 geborener Sohn Charles Scheidt erforscht intensiv die Familiengeschichte. Einige seiner Vorfahren väterlicherseits wurden von den Nazis ermordet. Charles Scheidt verdanken wir viele Informationen und Fotos.
Quellenangaben
Archiv der Sektion Frankfurt am Main
Bonavita, Petra (Hg.): Assimilation, Verfolgung, Exil. Am Beispiel der jüdischen Schüler eines Frankfurter Gymnasiums. Stuttgart 2002
Joods Monument (niederländische Gedächtnisplattform)
Charles Scheidt, Neffe von Ella Kutz-Ballin (Informationen über Charles Scheidt hier)
Universitätsarchiv Frankfurt am Main