Familie

Siegfried Katzenstein wurde am 6. Juni 1877 in Rotenburg/Fulda geboren. Sein Vater war der Kaufmann Herz Katzenstein (1831-1904) aus Diemerode. Seine Mutter Lina Winterberg (1853-1934) stammte aus Wolfhagen. Auch sein Großvater Josef Katzenstein war Kaufmann aus Diemerode. Sein Bruder Berthold Katzenstein (1879-1936) ist ebenfalls Kaufmann gewesen und hat in Frankfurt zusammen mit Leopold Werthan ein Geschäft für Futtermittel in der Stiftstraße betrieben. Außerdem hatte Siegfried Katzenstein noch zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe des Vaters: Der erstgeborene Josef Naftali, auch Julius genannt, starb bereits 1892 in Rotenburg/Fulda im Alter von nur 27 Jahren. Der zweite Halbbruder Meier, auch Moritz, Katzenstein (1868-1961) war Arzt und lebte ebenfalls in Frankfurt. Dort war er nicht nur als praktischer Arzt tätig, sondern gehörte auch zur Gruppe der Armenärzte. Ihm gelang die Auswanderung in die USA.

Siegfried Katzenstein ging zuerst in Rotenburg/Fulda zur Schule, besuchte später das 1779 durch Landgraf Friedrich II gegründete Friedrichs-Gymnasium in Kassel und zuletzt das Kaiser Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt. Im Frankfurter Adressbuch von 1893 taucht sein Vater Herz Katzenstein erstmals auf, und zwar als Privatier in der Obermain-Anlage 3, wo er bis zu seinem Tode wohnen wird. Daher muss die Familie um 1892 nach Frankfurt gezogen sein.

Nach dem Jura-Studium kehrte Siegfried Katzenstein nach Frankfurt zurück und gründete eine eigene Kanzlei in der Schillerstraße. Im März 1910 heiratete er die 1879 in Frankfurt geborene Marie Niedermayer, Tochter des Bankiers Salomon Niedermayer (1844-1915) und der Josefine Bauer, genannt Peppi, aus Buttenwiesen (1853-?). Ihr Großvater war der 1811 geborene Bankier Mayer Moses Niedermayer, der aus Thalmässing nach Frankfurt gekommen war. Im September 1911 wurde ihre Tochter Lieselotte geboren.

Lieselotte Katzenstein begann nach dem Abitur ein Jura-Studium. Sie ist in der Jugendgruppe des Jüdischen Frauenbundes aktiv gewesen und stellte im November 1930 die Wohnung der Eltern für den Vortrag von Stephanie Forchheimer über "Die Stellung der Frau als Verbraucherin innerhalb der Volkswirtschaft" zur Verfügung. Stephanie Forchheimer (1882-1954) war eine bedeutende Vertreterin jüdischer Frauenarbeit in Frankfurt und darüber hinaus. So ist sie als eine der ersten Frauen 1925 auf der Liste der Liberalen in das Parlament des Preußischen Landesverbandes Jüdischer Gemeinde gewählt worden - neben Paula Ollendorff aus Breslau und anderen. Forchheimer war bereits vor dem Ersten Weltkrieg publizistisch tätig. Beispielsweise veröffentlichte sie im Jahr 1913 in der jüdischen Zeitschrift "Ost und West" einen Beitrag über "Jüdisch-soziale Frauenarbeit in Frankfurt a. M.".

Beruflicher Werdegang
Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, Heft 9 vom Juni 1937, S. 13

Ostern 1895 legte Siegfried Katzenstein am Kaiser Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt das Abitur ab. Er studierte in Marburg, München, Berlin und wieder Marburg Jura. Katzenstein legte seine erste Staatsprüfung, das sogenannte Referendarsexamen, im Mai 1898 am Oberlandesgericht Kassel ab. In diesem Jahr erwarb er an der Universität Erlangen auch seinen juristischen Doktortitel mit der Arbeit: "Kauf bricht nicht Miethe". Ein Beitrag zur Lehre des Miethrechtes nach dem Bürgerl. Gesetzbuche für das Deutsche Reich, veröffentlicht 1899 bei Becker's Universitäts-Buchdruckerei in Würzburg. Die "große Staatsprüfung" folgte 1903 in Berlin. Ab Dezember 1903 war er als Gerichtsassessor tätig und bereits im Januar 1904 als Rechtsanwalt am Landgericht Frankfurt zugelassen. Seine Kanzlei befand sich damals im 1. Stock der Schillerstraße 10, während er in der Obermain-Anlage 3 wohnte. Hier hatten bereits seine Eltern gewohnt.

Von November 1916 bis November 1918 leistete Siegfried Katzenstein Kriegsdienst, doch nicht an der Front. Stattdessen war er in Frankfurt bei der stellvertretenden Korps-Intendantur tätig. Er hatte lediglich den niedrigen Dienstgard eines "Landsturmmannes". Im August 1920 wurde Katzenstein zum Notar ernannt. Als vor 1914 zugelassener Anwalt konnte er auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten rechtsanwaltlich tätig bleiben. Allerdings verlor er bereits im Juni 1933 das Notariat.

Dr. Katzenstein war in der Jüdischen Gemeinde seiner Geburtsstadt fest verankert. Er war unter anderem Mitglied in der Gemeindevertretung und als einer von drei Schriftführern unter Dr. Richard Merzbach tätig. Außerdem engagierte er sich im Vorstand des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, in der Gesellschaft für jüdische Volksbildung und war zeitweilig Präsident der Frankfurt-Loge des Unabhängigen Ordens Bne Briss (auch Bnai Brith). Aber auch seine Frau war für die Gemeindemitglieder tätig. Sie hat zum Beispiel im Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt am Main, Heft Nr. 6 vom Februar 1930, einen Artikel mit dem Titel "Fragen der jüdischen Berufsberatung" veröffentlicht.

Rolle in der Sektion
Spende von Rechtsanwalt Dr. Siegfried Katzenstein (hier abgekürzt als R.-A. Dr. S. K.). Aus: Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Nr. 10 vom Oktober 1929, S. 130 (Ausschnitt).

Dr. Siegfried Katzenstein ist der Sektion Frankfurt am Main im Jahr 1913 beigetreten. Er war als Jurist für die Sektion tätig. In einem Rechtsstreit mit der Stadt Frankfurt über die Höhe der Vergnügungssteuer, die die Sektion für das Winterfest 1928 zahlen sollte, hat er mit zwei weiteren Rechtsanwälten die Sektion vertreten. Fritz Peters schrieb hierzu im Nachrichten-Blatt der Sektion vom Dezember 1928:

"Die Bemühungen unseres Frankfurter Vertreters, Rechtsanwalt und Notar Dr. Siegfried Katzenstein (Sektionsmitglied), unseres Vertreters vor dem Bezirksausschuß in Wiesbaden, Rechtsanwalt [Berthold] Guthmann, Wiesbaden, und unseres Vertreters vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin, Rechtsanwalt und Notar Dr. [Oskar] Fiebig, Ausschußmitglied der Sektion Hohenzollern, waren von Erfolg gekrönt. Allen drei Herren, besonders Dr. S. Katzenstein, dankt die Sektion und beglückwünscht sie zu diesem Erfolg, der bei der für uns unfaßbaren Einstellung der Gegenpartei kein einfacher war."

Siegfried Katzenstein spendete im Jahr 1929 16 RM für den Neubau der Rauhekopfhütte. Darüber hinaus hat er sich noch Anfang 1933 für den Ausbau der Sektion eingesetzt: Im Februar empfahl er zusammen mit dem jüdischen Hals-Nasen-Ohren-Arzt Dr. med. Arthur Marum, seit 1912 Mitglied der Sektion, die Aufnahme des Frankfurter Rechtsanwaltes Werner Simon in die Sektion. Simon wurde im Juni 1943 zusammen mit Ehefrau und Kind aus Berlin nach Theresienstadt deportiert und von dort im Oktober 1944 in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. Er gilt als verschollen, doch muss davon ausgegangen werden, dass er noch 1944 oder Anfang 1945 ermordet wurde.

Als Sektionsmitglied vor 1914 konnte Dr. Katzenstein auch nach Einführung des sogenannten "Arierparagrafen" in der Sektion Frankfurt am Main verbleiben. Ob er 1933/34 ausgetreten ist oder später ausgeschlossen wurde, lässt sich aufgrund fehlender Quellen gegenwärtig nicht mit Sicherheit sagen. Doch da er laut Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt im Jahr 1938 nicht das "Silberne Edelweiß" für 25-jährige Mitgliedschaft erhalten hat, ist davon auszugehen, dass er vor 1938 aus der Sektion ausgetreten ist oder ausgeschlossen wurde.

Im Juli 1939 beantragte Siegfried Katzenstein einen Lift nach London. Der beigefügten Liste an Büchern, die er in die Emigration mitnehmen wollte, kann man die Bedeutung der Berge für ihn erahnen. Unter den 110 Titeln finden sich auch Bergbücher, etwa "Ratgeber f. Alpenwanderer [herausgegeben von] Deutschösterreichischer Alpenverein" (Nr. 16) und "Gebot der Berge" (Nr. 64), eine wohl erstmals 1913 auf deutsch erschienene Bergsteigergeschichte des britischen Autors Alfred E. W. Mason. Tatsächlich wurde das gesamte Umzugsgut Katzensteins 1941 in Hamburg versteigert, sodass ihn diese Bücher in der Emigration nie erreicht haben.

Verfolgungsschicksal

Dr. Siegfried Katzenstein war seit 1904 beim Landgericht Frankfurt am Main als Rechtsanwalt eingetragen. Daher konnte er als "Altanwalt" auch noch nach Januar 1933 rechtsanwaltlich tätig sein. Allerdings wurde ihm im Juni 1933 das Notariat, das er seit 1920 inne hatte, entzogen, sodass er deutliche Einkommensverluste hinnehmen musste. Zum 1. Dezember 1938 wurde ihm - wie allen jüdischen Rechtsanwälten - die Zulassung entzogen. Er durfte danach nur noch als "Konsulent" für jüdische Mandanten tätig sein. Seine ökonomische Situation schilderte er in einem Gesuch zur Zulassung als Konsulent vom November 1938 wie folgt:

"Ich habe kein Vermögen. Ausser dem Berufseinkommen habe ich lediglich Einkommen aus Untervermietung von Zimmern. Nach der Steuerveranlagung für 1937 belief sich ersteres auf 1790 RM, letzteres auf 940 RM. Ich bin also für meinen Lebensunterhalt auf das Einkommen aus der Berufstätigkeit angewiesen."

Im August 1939 gab er diese Tätigkeit auf und emigrierte mit seiner Ehefrau Marie, geborene Niedermayer, und der Tochter Lieselotte zuerst nach Großbritannien und 1945 in die USA. Dort lebte die Familie in Denver, Colorado, ohne dass Dr. Katzenstein je wieder als Rechtsanwalt tätig geworden ist. Im Mai 1950 starb Siegfried Katzenstein in Denver, Colorado. Er wurde auf dem Friedhof Mount Nebo Memorial Park in Aurora, Colorado, beerdigt. Seine 1879 geborene Witwe Maria Katzenstein verstarb im September 1966 in Denver. Die Tochter Lieselotte (in den USA Lilian), verheiratete Goldsmith, starb mit 88 Jahren im Dezember 1999 in Aurora.

Quellen und Literatur

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW Bestand 458/796, 474/5, 518/19292 sowie 519/3, Nr. 20.673

Siegfried Katzenstein: "Kauf bricht nicht Miethe". Ein Beitrag zur Lehre des Miethrechtes nach dem Bürgerl. Gesetzbuche für das Deutsche Reich. (Nebst kurzer geschichtl. Einleitung.) Inaugural-Dissertation der juristischen Facultät der Friedrich-Alexanders-Universität zu Erlangen. Würzburg. Becker's Universitäts-Buchdruckerei 1899.

Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, online abrufbar

Bernd Greiten, Manfred Schmidt: Das Schicksal der in Krofdorf geborenen Jüdin Bertha Schmitt. Dokumentation einer Verfolgung und Vernichtung zur Zeit des Nationalsozialismus. In: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins Giessen 99 (2014) S. 51-128.