Siegfried Otto Wreschner wurde am 18. Mai 1899 als erstes Kind der Eheleute Eliezer Lippmann (gen. Leo) Wreschner (1868-1937) und Ida, geborene Cramer, (1875-1919) in Frankfurt am Main geboren. Das Paar bekam noch einen Sohn, den am 23. November 1902 geborenen Arnold Hans. Die Familie wohnte damals in der Jahnstraße 13 in der Frankfurter Innenstadt und ab 1905 im Frankfurter Westend ("Im Trutz 13").
Siegfried Wreschners Vater Leo war als Prokurist bei der Frankfurter Firma "Beer, Sondheimer & Co" (sie firmierte später unter "Montanhandel GmbH") tätig. Das Frankfurter Adressbuch weist ihn ab 1906 als Mitinhaber des Unternehmens aus. Die 1872 gegründete Firma gehörte zu den führenden national und international agierenden Metallunternehmen mit einer Reihe von Filialen und Agenturen im In- und Ausland. Leo Wreschner war überdies ein sehr aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Frankfurt und in Königstein im Taunus, zu deren Vorstehern er gehörte. Zudem engagierte er sich im Schulrat der "Realschule der israelitischen Religionsgesellschaft", einer nicht-städtischen öffentlichen Schule in Frankfurt und trat als großzügiger Spender und Mäzen in Erscheinung. Es gab u.a. eine "Leo und Ida Wreschner-Schulgelder-Stiftung".
Leo Wreschners Frau Ida starb im Jahr 1919 im Alter von nur 44 Jahren. 1922 heirate er die aus dem ungarischen Sopron stammende Friederike Klaber (geboren am 15. August 1888). Mit ihr hatte er noch zwei Töchter: Margrit Miriam (1925-2014) und Charlotte Sidonie (1923-1994). Friederike Klaber war ebenfalls verwitwet. Aus ihrer ersten Ehe mit dem 1919 gestorbenen Vilmus Neumann stammte die Tochter Renee, die 1912 geboren wurde.
Biografische Angaben über Siegfried Wreschners Zeit in Frankfurt sind nur bruchstückhaft zu finden. Seine Bar Mizwa-Feier (im Alter von 12 bzw. 13 Jahren werden dabei jüdische Mädchen und Jungen im Sinne des jüdischen Religionsgesetzes zu Erwachsenen) fand im Mai 1912 in der Synagoge an der Friedberger Anlage statt. Er war aktives Mitglied der Jugendgruppe der "Agudas Yisrael-Bewegung", einer orthodoxen Bewegung, die zwar den säkularen Zionismus missbilligte, sich aber nicht gegen die Besiedlung Palästinas stellte. Die der "Agudas Yisroel-Bewegung" angeschlossenen Jugendgruppen widmeten einen Großteil ihrer Bemühungen der Vorbereitung ihrer Mitglieder auf die Besiedlung Israels.
Siegfried Wreschner besuchte das Frankfurter Goethe-Gymnasium und machte dort sein Abitur. Daran schloss sich ab April 1921 ein Studium der Philosophie an, dass er allerdings nach kurzer Zeit aufgab, um in die Firma seines Vaters einzutreten, in der er später eine leitende Stellung einnahm. Im Handelsregister wird er im Jahre 1932 als Geschäftsführer der Montanhandel GmbH geführt.
Am 10. April 1922 heiratete Siegfried Wreschner die am 22. Dezember 1902 in Frankfurt am Main geborene Rosy Felsenstein. Das Paar hatte 5 Töchter: Ida (1923-1989), Fay Felicitas (1924-2010), Hannah Charlotte (1925-2006), Ruth (1927-1998) und Yvonne (1939-?). Die Familie wohnte in Frankfurt in der Rainganumstr. 27 im Stadtteil Bornheim.
Aufgrund der Verfolgungsmaßnahmen durch die Nationalsozialisten wanderte Siegfried Wreschner mit seiner Familie Ende 1933 zunächst in die Niederlande aus. Dort lebten sie vom 29. November 1933 bis zum 16. Februar 1940 in Amsterdam. Über die beruflichen Aktivitäten Siegfried Wreschners in den Niederlanden konnten wir bislang nichts in Erfahrung bringen. Von Amsterdam aus emigrierte er mit seiner Frau und den fünf Töchtern nach Kanada, da sie sich, wie Siegfried Wreschner später schrieb, "nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs der Gefahr ausgesetzt sahen, auch in Holland wegen der jüdischen Abstammung, Opfer nationalsozialistischer Verfolgung zu werden." Die Familie ließ sich schließlich in Montreal nieder. Hier gründete und leitete Siegfried Wreschner die Firma Minfermet Ltd. Den Entschädigungsakten im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden kann man entnehmen, dass seine Tätigkeit dort die eines Metallkaufmanns war. Die wirtschaftliche Situation seiner Firma war jedoch durchgehend schlecht.
Ein Geschäftsfreund Siegfried Wreschners, der ebenfalls aus Deutschland emigrierte und in New York lebende Hans W. Goldschmidt bemerkte hierzu im Jahr 1959: "Herr Wreschner hatte hier [in Kanada, Anm. d.V.] sehr schwere Jahre. Ich glaube dies behaupten zu können, da Herr Wreschner, dem ich wann immer in meinen Kräften beistand, sich sehr offen mit mir über seine finanziellen Schwierigkeiten aussprach. Der Unterschied von dem Reichtum seines Hauses in Frankfurt zu seinen Verhältnissen in Montreal war, gelinde ausgedrückt, krass."
Auch andere Mitglieder der Familie Wreschner verließen Deutschland aufgrund der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Siegfried Wreschners Vater Leo emigrierte mit seiner Frau Friederike und den beiden Töchtern Margrit und Charlotte im September 1935 ebenfalls in die benachbarten Niederlande, wo sich Renee, die Tochter Friederike Wreschners aus erster Ehe, seit 1934 bereits befand (sie emigrierte im Juni 1936 in die USA). Leo Wreschner starb am 26. Juni 1937 in Amsterdam. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 wurde die Situation der dort lebenden Juden immer prekärer. Friederike Wreschner und ihre beiden Töchter wurden im November 1943 in das im Nordosten der Niederlande gelegene Lager Westerbork, das seit dem 1. Juli 1942 den Status als "Polizeiliches Judendurchgangslager" hatte, gebracht. Von dort aus wurden die jüdischen Lagerinsassen in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Friederike Wreschner starb kurz vor dem Ende des Krieges im Konzentrationslager Ravensbrück, die Töchter Margrit und Charlotte erlebten ihre Befreiung im Konzentrationslager Theresienstadt. Die beiden Schwestern gingen 1949 nach Israel. Margrit wanderte 1956 in die USA aus, studierte dort Psychologie und arbeitete später als Psychotherapeutin und -analytikerin. Charlotte blieb in Israel und wurde dort später Vize-Bürgermeisterin von Jerusalem.
Für Friederike Wreschner gibt es seit dem Jahr 2010 in Frankfurt am Main einen Stolperstein am letzten selbst gewählten Wohnort: Im Trutz 13.
Siegfried Wreschners Bruder, der Rechtsanwalt Arnold Hans, emigrierte mit seiner Ehefrau Alice Helene, geborene Ettinghausen (geboren am 5. Mai 1910 in Frankfurt am Main) auch in die Niederlande. Das in Amsterdam lebende Ehepaar bekam dort drei Kinder: Stephan Wolfgang wurde am 2. Dezember 1934, Robert Emanuel am 10. Januar 1937 und Ida Lucienne Gabriela am 20. April 1940 geboren. Arnold Hans Wreschner wurde mit seiner Ehefrau und den drei Kindern am 15. Februar 1944 in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Da sich britische Truppen dem Konzentrationslager näherten, sollten die Gefangenen, darunter auch die Familie Wreschner, am 10. April 1945 weiter nach Theresienstadt deportiert werden.
Dieser Transport endete in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz, weil der Zug nicht mehr weiterfahren konnte. Einheiten der Sowjetarmee befreiten die Häftlinge am 23. April 1945. Zu diesem Zeitpunkt waren Arnold Hans Wreschner und sein Sohn Robert Emanuel bereits tot. Der zehnjährige Stephan Wolfgang war bereits im März 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen verstorben. Alice Wreschner ist nach der Befreiung am 7. Mai 1945 an den Folgen einer Epidemie gestorben. Nur drei Tage später starb auch die fünfjährige Tochter Ida Gabriela.
Im Zuge des Entschädigungsverfahrens, das die Familie Wreschner nach dem Zweiten Weltkrieg anstrengte, mussten der Entschädigungsbehörde beim Regierungspräsidenten in Wiesbaden eidesstattliche Erklärungen verschiedener Wegbegleiter Siegfried Wreschners vorgelegt werden, die ihn kurz charakterisieren:
Dr. Joseph Breuer, der ehemalige Leiter der Thora-Lehranstalt "Jeschiwa", die der "Israelitischen Religionsgesellschaft" in Frankfurt am Main angegliedert war, schrieb 1959 über ihn: "Siegfried Otto Wreschner war mein Schüler und stand mir lange Jahre hindurch sehr nahe. Er war ein tief religiöser Mann und eng verbunden mit den Idealen seiner Gemeinde. Seine Mitarbeit und philanthropische Hilfsbereitschaft wurden in verdientem Maße geschätzt. Die Familie Wreschner war eine der angesehensten und wohlhabendsten Familien der Gemeinde."
Der oben bereits genannte Hans W. Goldschmidt schrieb: "Herr Wreschner gehörte zu meinen Vorgesetzten [bei der Fa. Beer, Sondheimer & Co., Anm. d. V.], und obschon er aus einem reichen Hause stammte, ging dies nicht aus seinem Verhalten zu den Angestellten hervor. Er nahm ein persönliches Interesse an allen Angestellten, die ihm untergeben waren, und zwar nicht nur im Büro, sondern auch dort, wo es angebracht war, an persönlichen Problemen. Ich habe dies Herrn Wreschner stets hoch angerechnet."
Siegfried Otto Wreschner war aufgrund einer Herzerkrankung in den letzten Lebensjahren gesundheitlich stark angeschlagen. Er starb am 27. Juli 1959 im Alter von 60 Jahren in Montreal. Die Beerdigung fand auf dem Shaar Hashomayim Friedhof in Montreal statt.
Siegfried Wreschner trat im Jahr 1931 in den Frankfurter Alpenverein ein. Das Nachrichtenblatt der Sektion nennt als Bürgen Frau Sanitätsrat Dr. R. Hirsch, also die Ehefrau des Zahnarztes Raphael Hirsch namens Jenny, geb. Hirschmann, Mitglied der Sektion seit 1921, und Professor Dr. Paul Grosser (1880-1934), der seit 1909 Mitglied der Frankfurter Sektion war. Aufgrund seiner jüdischen Religionszugehörigkeit wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt und verlor im Sommer 1933 seine Stelle als Direktor des Clementine-Kinderhospitals. Paul Grosser emigrierte mit seiner Familie im Dezember 1933 nach Frankreich, wo er schon kurz danach an den Folgen eines Herzinfarktes starb. Er war der Vater des Publizisten und Politologen Alfred Grosser (1925-2024).
Über Aktivitäten Siegfried Wreschners im Alpenverein gibt es gegenwärtig keine Nachweise. Wir wissen zurzeit nicht, ob er aus dem Alpenverein austrat oder nach dem 30. Januar 1933 von der neuen Sektionsleitung ausgeschlossen wurde.
Quellen
HHStAW, Hessisches Hauptstaatsarchiv , Abt. 518, Nr. 64459
Verschiedene Zeitungen: Frankfurter Zeitung, Neue Jüdische Presse, Frankfurter Israelitisches Familienblatt
Adressbücher der Stadt Frankfurt am Main, online abrufbar
Canadian Jewish Review vom 7. August 1959
Nachrichtenblatt der Alpenvereinssektion Frankfurt a.M. vom September 1931
Stolperstein für Friederike Wreschner - online abrufbar
Stolperstein-Initiative Hamburg - Betty Oettinger - online abrufbar
Zeitzeugin Margrit Wreschner-Rustow - online abrufbar
Youtube-Interview mit Margrit Wreschner-Rustow (USC Shoah Foundation) - online abrufbar