„Eine akademische Karriere ist mir versagt geblieben, und ich habe von 1934-1940 von Unterstützung leben müssen“
Ralf Bonwit
1953
Familie und Ausbildung
Studierenden-Ausweis von Ralf Bonwit vom 8. November 1932. Dieser Ausweis liegt in der Akte des Universitätsarchivs Frankfurt, UAF Abt. 604, Nr. 4221. Die Rechte am Bild liegen beim Universitätsarchiv Frankfurt. Wir danken dem Universitätsarchiv herzlich für die kostenfreie Erlaubnis zur Veröffentlichung des Ausweises.

Ralf Bernhard Bonwit wurde am 23. Oktober 1910 als Sohn des Kaufmanns Otto Bonwit (1871-1933) und der Irma Bonwit, geborene Bär (1888-1971) in Frankfurt am Main geboren. Laut Frankfurter Adressbuch des Jahres 1910 wohnten seine Eltern damals in der "Körnerstraße 12" im Westend. Er hatte noch drei Geschwister: Erika (1915-1987), die 1934 in das damalige Palästina emigrierte und dort 1936 den Mediziner Dr. Karl Wolff (1900-1984) heiratete, Gerd (1913-2004), der im Jahre 1938 nach Argentinien emigrieren konnte, sowie Lisa (1917-2006), die 1937 nach England auswanderte. Dem Frankfurter Adressbuch von 1912 kann man entnehmen, dass die Familie damals "Auf der Körnerwiese 12" wohnte, ebenfalls im Westend. 1919 zog die Familie Bonwit in ein Einfamilienhaus im Grüneburgweg 117, das Anfang des Jahres 1936 zwangsweise verkauft werden musste.

Otto Bonwit wurde durch seine Heirat 1909 Teilhaber der Firma "Porzellan-Bär" (Stiftstraße 8-10), die im Jahre 1897 von seinem Schwiegervater Moses (genannt Moritz) Bär gegründet worden war. Nach dessen Tod im Jahre 1925 führte Otto Bonwit das Geschäft allein weiter. Der engagierte Frankfurter Bürger war auch viele Jahre unter anderem im Vorstand der Jüdischen Gemeinde tätig, Schulrat am Philantropin, der wichtigsten jüdischen Schule Frankfurts, und als Handelsgerichtsrat aktiv. Er starb am 24. Juli 1933 in seinem Haus im Grüneburgweg 117, als die Gestapo dort eine schikanöse Hausdurchsuchung vornahm. Ralf Bonwits Geschwister Gerd, Erika und Lisa waren Zeugen dieses Vorfalls.

Nach bestandenem Abitur am Frankfurter Goethegymnasium im Jahre 1929 studierte Ralf Bonwit Geschichte in Heidelberg, Paris und Frankfurt am Main. Ab dem Jahr 1932 spezialisierte er sich auf die mittelalterliche Geschichte Frankreichs. Sein wissenschaftlicher Mentor war in diesem Zeitraum der Historiker und Mediävist Ernst Kantorowicz (1895-1963), bei dem er ursprünglich promovieren wollte. In einem Brief aus dem Jahr 1957 schrieb Ralf Bonwit: "Ich war bis 1933 Student der Geschichte; mein Lehrer, Professor Dr. Ernst Kantorowicz, hatte eine akademische Laufbahn für mich geplant. Wegen der Rassenverfolgung musste ich meine historischen Studien abbrechen und sattelte in Frankreich und England auf fernöstliche Sprachen um."

Verfolgungsschicksal

Zunächst setzte er in Paris seine historischen Studien fort. Für ihn erwies es sich in der Folgezeit jedoch unmöglich, sein begonnenes Studium dort weiter zu verfolgen und wandte sich den fernöstlichen Sprachen zu. In London, wo er nun seit 1934 lebte, legte er schließlich ein Examen in Chinesisch und Japanisch ab. "Eine akademische Laufbahn ist mir versagt geblieben und ich habe von 1934 bis 1940 von Unterstützung leben müssen", schrieb er in einem Antrag an die Entschädigungsbehörde in Wiesbaden im Jahr 1953.

Nachkriegsleben

Mit dem Kunsthistoriker und Schriftsteller Erwin Walter Palm (1910-1988) und dessen Ehefrau, der Lyrikerin Hilde Domin (1909-2006), verband Ralf Bonwit eine lebenslange Freundschaft. Palm, der einer jüdischen Kaufmannsfamilie entstammte, wuchs ebenfalls in Frankfurt am Main auf. Im Deutschen Literaturarchiv in Marbach sind im Nachlass von Hilde Domin noch einzelne Briefe erhalten, die Ralf Bonwit zwischen 1962 und 1982 an Erwin Palm sandte. Ihnen kann man Informationen entnehmen, die über das Leben Ralf Bonwits in England zumindest bruchstückhaft Aufschluss geben. Offenbar gab es während des 2. Weltkrieges ein Treffen mit Palm in London, über das er 1962 schrieb: "Ich wurde kurz nach unserem Treffen in London als gefährliches Element mit 50 andern interniert, kam nach 7 Monaten wieder heraus und war während des Restes der Kriegszeit bei der BBC Fernostabteilung tätig. Seit 1947 bin ich aufs Land versetzt bei einer andern Abteilung. Die Akademikerkarriere ging nicht weiter, weil ich nicht genug Geld hatte, von selbst aus mich zu finanzieren und keine Lust reine Ostphilologie zu treiben."

Noch 1965 erwog Ralf Bonwit eine akademische Laufbahn: "Ich habe mir seit einiger Zeit überlegt, ob ich eigentlich nicht versuchen sollte, auf die akademische Bahn zurückzukehren – allerdings nicht mehr mittelalterliche Geschichte – aus der ich völlig herausgekommen bin – sondern moderne ostasiatische Entwicklungen. Wie Du wohl weisst, kann ich gut Chinesisch und Japanisch sprechen – besser als lesen! – und habe seit 20 Jahren Ausschau nach diesen Ländern gehalten."

Im Jahr darauf berichtete er Palm: "In der Zwischenzeit hat sich meine akademsiche Lage etwas verbessert. Ich gehe einmal in der Woche zum fernöstlichen Seminar im St. Anthony"s College – der Nachkriegsstiftung für internationale Forschung – und man hat mich zum Mitglied des Senior Common Rooms gewählt (Das ist so halbwegs ein Dr. h.c.). Das alles macht die tägliche Arbeit viel erträglicher."

1948 heiratete er die Schwedin Ingrid Gustafsson (1911-1996). Tochter Anne Birgitta wurde am 16. Oktober 1950 geboren. Ralf Bonwit starb am 9. März 1988 in Martigny (Kanton Wallis/Schweiz).

Alpenverein
Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, Nr. 5 vom Juni 1934, Bericht über das Vereinsjahr 1933, S. 29 (Ausschnitt).

Ralf Bonwit trat im Jahre 1930 dem Frankfurter Alpenverein bei. Die Bürgen waren sein Vater Otto und Dr. Walter Bing. Sein Vater Otto Bonwit trat 1913 in die Sektion Frankfurt des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins ein, ist aber in dem Verzeichnis der Sektionsmitglieder von 1925 nicht mehr aufgeführt worden. Da er unter den Neueintritten seit Oktober 1926 nicht zu finden ist, muss er zwischen März 1925 und Oktober 1926 erneut in die Sektion eingetreten sein, ohne dass zurzeit klar ist, wann er aus der Sektion ausgetreten war; vielleicht nach dem Ersten Weltkrieg? Otto Bonwit ist vor seinem Tode im Juli 1933 nicht aus der Frankfurter Sektion ausgetreten. Vielmehr wurde seines Todes auf der Jahreshauptversammlung am 28. Mai 1934 gedacht. Entsprechend findet er sich auch auf der ersten Seite des Nachrichten-Blattes vom Juni 1934 als verstorbenes früheres Mitglied namentlich aufgeführt!

Über alpine oder vereinsinterne Aktivitäten Ralf Bonwits in seiner Frankfurter Zeit ist nichts bekannt. Ob er aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde oder seine Mitgliedschaft vor seiner Emigration nach England im Jahre 1934 aufgab, ist ebenfalls unbekannt. Nach der Anfang 1934 beschlossenen Satzungsänderung durften sogenannte "Nichtarier" nicht mehr in der Sektion Frankfurt verbleiben, außer sie waren im Ersten Weltkrieg "Frontkämpfer" oder schon vor dem Jahr 1914 Mitglied der Sektion. Beides traf auf Ralf Bonwit nicht zu.

Ralf Bonwit blieb aber auch nach seiner Emigration nach England mit den Alpen verbunden. Seit mindestens 1953 war er Mitglied der im Jahre 1909 gegründeten "Association of British members of the Swiss Alpine Club (ABMSAC)", einer Vereinigung britischer Mitglieder des Schweizer Alpenclubs (SAC), die bis heute sehr enge Beziehungen zum SAC unterhält. Der Bau der ersten Britannia-Hütte oberhalb von Saas-Fee im Jahre 1912 geht auf Initiative dieses Vereins zurück.

Im Jahresbericht von 1953 des "ABMSAC" findet sich ein kurzer Artikel Ralf Bonwits, der Ratschläge beinhaltete, wie Bergsteiger möglichst kostengünstig Urlaub auf Schweizer Berghütten durchführen können. Im Folgejahr schrieb er einen kurzen Aufsatz über das Thema "Wetter und Tourenplanung". Im Jahresbericht von 1964 schrieb er einen kurzen Bericht über seine Frühlingsskifahrten in den Walliser Alpen. Allalinhorn, Fluchthorn, Alphubel und Castor wurden von ihm bestiegen. Auch im darauffolgenden Jahr verbrachte er, allerdings nur 10 Tage, seinen Urlaub im Gebiet von Saas Fee. Trotz widriger Schneeverhältnisse bestieg er wieder das Allalinhorn und das Strahlhorn. Lobend erwähnte er die kurz vorher eingeführte Direktverbindung zwischen Visp und Saas-Fee mit Postautos.