„1930 war ich dem Haus Loewe in fester Freundschaft verbunden und habe das Auswandernmüssen von Dr. Paul Loewe nach Mexiko als Tragik für die ganze Familie empfunden“
Marie-Louise von Bülow
Freundin der Familie Loewe
Familie

Paul Loewe wurde am 19. November 1912 als Sohn des jüdischen Mediziners Dr. Otto Loewe und dessen Ehefrau Ida, geborene Seeber, in Frankfurt am Main geboren. Die Familie wohnte in der Arndtstr. 29 im Frankfurter Westend. Der Vater Paul Loewes war bis 1933 Chefarzt am Frankfurter Markus-Krankenhaus. Diese Stellung musste er jedoch auf Druck der Nationalsozialisten aufgeben. Otto Loewe wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von einem Rollkommando der Gestapo verhaftet und in der Frankfurter Festhalle zusammen mit anderen jüdischen Männern schwer misshandelt. Als Folge der Misshandlungen starb er auf dem Rückweg nach Hause am 12. November 1938. Nach Otto Loewe ist heute im Frankfurter Stadtteil Bockenheim eine Straße benannt.

Ausbildung und Beruf

Paul Loewe studierte von Ostern 1931 bis Ostern 1934 Medizin an der Universität Frankfurt am Main. Nach eigener Aussage hatte er bis zur sogenannten "Machtergreifung" mit seinen Kommilitonen "gut gestanden". Dies änderte sich jedoch rasch. Da Paul Loewes Vater jüdisch und seine Mutter evangelisch war, galt er in der Diktion der Nationalsozialisten nun als sogenannter "Halbjude" bzw. "Mischling", was dazu führte, dass er erhebliche Schwierigkeiten bei der Fortsetzung seines Studiums bekam. Kommilitonen brachen den Kontakt zu ihm ab, für die vorgeschriebenen Laboratoriumsarbeiten fand er keine Mitarbeiter mehr und die Zulassung zur "Deutschen Studentenschaft" wurde ihm verwehrt. Nach eigener Aussage empfand er einen "dauernden moralischen Druck", der ihn schließlich zwang, die Universität zu verlassen.

Verfolgungsschicksal

Einer seiner wenigen ihm verbliebenen nicht-jüdischen Freunde riet Paul Loewe, Deutschland zu verlassen. Der Freund prophezeite, dass sich die Situation für jüdische Studenten noch verschlimmern würde. "Ich merkte, wie schwer es ihm fiel, die alte Heimat zu verlassen und sein Studium zu unterbrechen."

Aber auch der Vater drängte den damals 22-jährigen Paul im Jahr 1934 zur Auswanderung. Der später im Entschädigungsverfahren tätige Rechtsbeistand Paul Loewes, der Rechtsanwalt Jacob Flesch aus Frankfurt am Main beschrieb dies so: Er [Paul Loewe, d.V.] hat mit allen Fasern seines Herzens am Elternhaus gehangen. Er hat sich gegen das Verlangen des Vaters, auszuwandern, mit Händen und Füssen gesträubt und sich schliesslich zur Auswanderung entschlossen, als der Vater ihm erklärt hat, er bezahle ihm die Fahrkarte für Hin- und Rückfahrt, damit er jederzeit zurückfahren könne, wenn der Antisemitismus in Deutschland aufhören würde."

Die Auswanderung nach Mexiko erfolgte am 16. Mai 1934 per Schiff von Hamburg. Unmittelbar nach seiner Ankunft beantragte er die Aufnahme in die medizinische Fakultät der Universität Mexiko. Da in Mexiko damals das Studienjahr von Februar bis November dauerte, konnte er erst im darauffolgenden Jahr sein Studium der Medizin fortsetzen. Parallel hierzu musste er zur Ergänzung des mexikanischen Abiturs, Kurse über mexikanische Geschichte und Geografie, mexikanische und iberoamerikanische Literatur sowie Spanisch belegen und Prüfungen in diesen Fächern ablegen. Die medizinische Fakultät der Universität Mexiko bescheinigte ihm am 29. August 1938 die erfolgreiche Beendigung seines Studiums. Danach absolvierte er von September 1938 bis März 1939 den damals in Mexiko vorgeschriebenen sozialen Dienst.

Da sein Vater ihn aufgrund von Devisenbeschränkungen finanziell nur noch unregelmäßig unterstützen konnte, arbeitete Paul Loewe zwischenzeitlich als Röntgentechniker, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Die erfolgreiche Ablegung seines Staatsexamens verzögerte sich dadurch bis zum 31. Oktober 1940. Zwei Wochen später, am 12. November wurde ihm von der "Universidad Nacional de Mexico" das ärztliche Diplom ausgestellt. Paul Loewe war nun, wie sein Vater, Facharzt für Chirurgie.

Nachkriegsleben

Über das weitere Leben Dr. Paul Loewes ist fast nichts bekannt. Zumindest wissen wir, dass er um 1938 für den ersten Wood Badge-Kurs (Grundausbildung für Pfadfinder und Pfadfinderleiter) in Mexiko verantwortlich und dort auch späterhin für die Pfadfinder tätig war. Zum Beispiel hat er das Projekt "Pfadfinderlager Meztitla" in Tepoztlán geleitet und einen Teil des Grundstückes dafür gespendet.

Paul Loewe heiratete die 1939 aus Wien geflohene Liesl Deutsch, mit der er zwei Kinder hatte, die 1941 und 1944 in Mexico geboren wurden. Paul und Liesl Loewe besaßen ein Landhaus in Tepoztlán im Bundesstaat Morelos, 75 Kilometer südlich der Hauptstadt Mexico City. 1958/59 gehörte Paul Loewe zum Vorstand der Sociedad Mexicana de Radiología, er war damals also als Radiologe tätig. 1967 veröffentlichte er zusammen mit Arztkollegen aus dem Hospital Dalinde, Mexico, D.F., im British Journal of Plastic Surgery einen Artikel mit dem Titel "Preliminary report on the subcutaneous perfusion of dimethyl polisiloxane to increase volume and alter regional contour".

Momentan ist unbekannt, wann Paul Loewe verstorben ist. Im Jahr 2007 gratulierte die Deutsche Röntgengesellschaft Dr. med. Paul Loewe mit der Adresse "Mexico 20, D.F., ME Mexico" zum 95. Geburtstag, sodass er zu dieser Zeit noch gelebt hat.

Der 1941 geborene Sohn Ricardo war Arzt und Menschenrechtsaktivist. Ricardo wandelte das elterliche Landhaus später in eine Clínica Popular um, also eine Ambulanz für Arme, hauptsächlich Indigene, die sich keine ärztliche Behandlung leisten konnten. Er starb am 9. November 2022 in Wien. Ricardo Loewe hat einen Sohn namens Andrés Loewe.

Alpenverein

Paul Loewe trat im Jahre 1932 der Frankfurter Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins bei. Seine beiden Bürgen waren Professor Walter Behrmann und der langjährige 1. Vorsitzende der Sektion Frankfurt am Main, Professor Dr. Matthias Friedwagner. Er ist also Mitglied geworden, als eine studentische Abteilung in Frankfurt aufgebaut wurde. Über Betätigungen Loewes in der Sektion ist uns nichts bekannt. Ob er aus dem Alpenverein ausgeschlossen wurde oder seine Mitgliedschaft vor seiner Emigration im Jahre 1934 aufgab, ist ebenfalls unbekannt. Nach der Anfang 1934 beschlossenen Satzungsänderung durften sogenannte "Nichtarier" nicht mehr in der Sektion Frankfurt verbleiben, außer sie waren im Ersten Weltkrieg "Frontkämpfer" oder schon vor dem Jahr 1914 Mitglied der Sektion. Beides traf auf Paul Loewe nicht zu.