Max Neisser wurde unter dem Namen Maximilian Neißer im Juni 1869 im schlesischen Liegnitz (Preußen) als Sohn des Kaufmanns und Fabrikbesitzers Salomon Neißer (1833-1881) und der Julie Neißer, geb. Sabersky (1841-1927), geboren. Beide Eltern waren jüdisch. Max Neisser hatte vier Geschwister: Luise Neißer (1861-1942), Prof. Dr. med. Ernst Richard Neißer (1863-1942), Karl Neißer (1868-1889) und Paula Katharina Kurlbaum (1875-1918). Max Neisser besuchte bis Ostern 1881 das Gymnasium in Liegnitz und anschließend wegen des Umzugs der Familie Neißer nach Berlin das dortige Joachimsthalsche Gymnasium, wo er Ostern 1888 das Reifezeugnis erwarb.
Max Neisser, um 1892 Protestant geworden, heiratete im Jahr 1901 die im Juli 1878 in Frankfurt am Main geborene Emma Eleonore Hallgarten. Sie war die Tochter des jüdischen Mäzens Charles L. Hallgarten (1838-1908) und der Elise Mainzer (1840-1895), ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammend. Sie blieb jüdisch. Damals wohnte Max Neisser laut "Mahlau's Frankfurter Adressbuch" 1901 in Frankfurt-Sachsenhausen in der Städelstraße 37, aber bereits im folgenden Jahr in der Parkstraße 67 im Westend.
Max und Emma hatten drei Kinder: die Germanistin Elise Charlotte (genannt: Liselotte) Dieckmann (1902-1994), den Kaufmann Gerhard Ernst Neisser (1905-1984) und den Chemiker Klaus Otto Alfred Neisser (1911-2003). Im Geburtsjahr des dritten Kindes lebte die Familie nicht mehr in der Parkstraße, sondern in der Miquelstraße 21. In einem Schreiben vom März 1933 schrieb Prof. Dr. Max Neisser: "Ich bin der Rasse nach Volljude, dem Bekenntnis nach protestantisch. Aber ich bin in erster Linie Deutscher und werde mir das nicht durch irgendwelche noch so hohe Persönlichkeiten bestreiten lassen. Denn väterlicherseits und mütterlicherseits leben wir nachweislich seit Jahrhunderten in Deutschland."
Max Neisser begann sein Studium an der Universität Freiburg (im Breisgau). Er studierte ein Semester Naturwissenschaften und dann Medizin. An dieser Universität hatte auch sein Bruder Ernst Medizin studiert. Nach Ablegung des Physicums im März 1890 leistete er im Freiburger 113. Infanterie-Regiment seinen Militärdienst ab. Januar 1893 konnte er in Freiburg das medizinische Staatsexamen ablegen. Im Oktober desselben Jahres wurde er in Berlin mit einer Arbeit "Ueber einen neuen Wasser-Vibrio, der die Nitrosoindol-Reaction liefert" in Medizin promoviert.
Von 1894 bis 1899 arbeitete Dr. Max Neisser als Assistent von Carl Flügge (1847-1923) am Königlichen Hygiene-Institut der Universität Breslau und habilitierte sich 1898 mit einer Arbeit "Ueber Luftstaub-Infection". Anschließend arbeitete er an Paul Ehrlichs Frankfurter Königlichem Institut für experimentelle Therapie. Im Jahr 1901 wurde Dr. Max Neisser zum Titularprofessor ernannt und im Juli 1909 Direktor des neu gegründeten Städtischen Hygienischen Instituts in Frankfurt am Main. Er war Mitbegründer und erster Vorsitzender des "Frankfurter Vereins für zur Bekämpfung der Schwindsuchtgefahr". 1914 erhielt er das Ordinariat für die Fächer Hygiene und Bakteriologie an der neu gegründeten Universität Frankfurt am Main. Sein Hygienisches Institut wurde zu einem Universitätsinstitut umgewandelt.
Dr. Max Neisser nahm Ab August 1914 als Mediziner am Ersten Weltkrieg teil. Er wurde in Belgien, Bulgarien, Frankreich und Rumänien eingesetzt und war zuletzt Oberstabsarzt d.R., stationiert in Virton (Belgien). Für seine militärischen Leistungen erhielt er unter anderem im November 1915 das österreichische Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens, im August 1917 das Eiserne Kreuz 1. Klasse und im Februar 1918 den bulgarischen Alexander-Orden. Im August 1918 stellte Max Neisser, damals bereits Geheimer Medizinalrat, einen Antrag auf längere Beurlaubung, die ihm schließlich gewährt wurde. Ab 18. November 1918 war er wieder in Frankfurt am Main am Hygienischen Institut tätig.
Nachdem Max Neisser 1920/21 Dekan der Medizinischen Fakultät gewesen war, übernahm er im Wintersemester 1921/22 für ein Jahr das Rektorat der Universität Frankfurt am Main. In dieser Zeit holte er die Bakteriologin Emmy Klieneberger-Nobel an sein Institut. Sie war 1930 die erste Frau, die an der Frankfurter Universität habilitiert wurde. Im Juni 1929 schrieben die Frankfurter Nachrichten zu seinem 60. Geburtstag: "Seine Publikationen über den Diphteriebazillus und seine Differentialdiagnose ist von allergrößter Bedeutung für die medizinische Praxis geworden." Auch die Frankfurter Zeitung veröffentlichte im Juni 1929 einen Beitrag zu seinem 60. Geburtstag. Darin beschrieb der in Heidelberg lehrende Serologe Prof. Dr. Hans Sachs, der 1938 aus Deutschland nach Großbritannien floh, Max Neissers Wertschätzung wie folgt:
"Rasche Erfassung und scharfe Durchdringung der Materie, leichte geistige Anpassung an die Forderungen des Tages und der Wissenschaft, stete Bereitschaft zur Beratung und helfenden Fürsorge haben Neißer neben seinem Erfolg in Forschung und Lehre das Vertrauen der Behörden und die Herzen der Schüler, Mitarbeiter und Freunde gewonnen."
Er war ein auch international geachteter Mediziner. Im Juli 1929 wurde er zum Fellow der Royal Society of Public Health. Im Oktober 1932 ist er Vorsitzender der Deutschen Mikrobiologischen Gesellschaft geworden. Doch mit dem Beginn der nationalsozialistischen Diktatur änderte sich seine berufliche Situation dramatisch: Am 25. April 1933 wurde Prof. Dr. Max Neisser mit sofortiger Wirkung von seinen Verpflichtungen an der Universität entbunden. Damit endete seine Tätigkeit in Frankfurt am Main.
Im Jahr 1935 wollte Max Neisser in der Türkei einen Vortrag "Über mikrobische Symbiose" halten. Er plante eine Reise durch Griechenland und die Türkei. Auf seine Bitte um Erlaubnis an die Universität Frankfurt am Main vom Februar 1935 fragte der damalige Rektor Walter Platzhoff (1881-1969), erst seit 1937 Mitglied der NSDAP, beim Gauleiter Jakob Sprenger an. Platzhoff charakterisiert ihn darin wie folgt: "Geheimrat Neisser ist zwar Nichtarier, ist aber als unbedingt zuverlässige Persönlichkeit anzusehen, von der keine Entgleisung zu befürchten ist." Auch wenn die Antwort des Gauleiters nicht in der im Universitätsarchiv Frankfurt eingesehen Akte zu Prof. Dr. Max Neisser enthalten ist, muss sie ablehnend gewesen sein. Denn im März 1935 bittet Walter Platzhoff darum, dass Max Neisser von dem Vortrag Abstand nimmt, und unterschreibt diesen Brief mit den Worten "In kollegialer Hochschätzung Ihr sehr ergebener Platzhoff".
Prof Dr. Max Neisser ist im Jahr 1920 der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins beigetreten. Im März 1933 hat Max Neisser zusammen mit dem jüdischen Rechtsanwalt Dr. Adolf Fuld die Aufnahme der Studenten Klaus Neisser, seinem Sohn, und Heinz Alexander empfohlen und auf diese Weise den Ausbau der studentischen Abteilung gefördert.
Ob er später aus der Sektion ausgetreten ist oder von der neuen, nationalsozialistisch ausgerichteten Sektionsleitung aufgrund seiner jüdischen Eltern ausgeschlossen wurde, können wir mangels Quellen zurzeit nicht sagen. Als "Frontkämpfer" des Ersten Weltkriegs hätte er auch nach der Einführung des sogenannten "Arierparagrafen" Mitglied der Sektion Frankfurt am Main des DuÖAV bleiben dürfen.
Aufgrund seiner jüdischen Eltern wurde Prof. Dr. Max Neisser von den Nationalsozialisten als Jude verfolgt. Bereits im April 1933 ist er durch das Preußische Wissenschaftsministerium von seinen Verpflichtungen an der Universität entbunden worden, sodass seine 1914 begonnene Arbeit für das Hygienische Institut der Universität Frankfurt am Main endete. Im Vorlesungsverzeichnis der Universität Frankfurt für das Sommersemester 1934 hieß es daher auf Seite 7: "Neisser, Max, Dr. med., GMR [Geheimer Medizinal-Rat]. (Hygiene und Bakteriologie). Entpflichtet. - Liest nicht." Im Februar 1936 wurde ihm - wie auch anderen Professoren mit jüdischem Hintergrund, etwa Karl Herxheimer und Ernst Kantorowicz - die Lehrbefugnis entzogen, und zwar rückwirkend mit Ablauf des 31. Dezember 1935. Max Neisser war zuvor aus Frankfurt ins nahe gelegene Falkenstein im Taunus gegangen, wo er bis zu seinem Tod im Februar 1938 zurückgezogen in der Feldbergstraße 4a lebte. Aus einem Schreiben seiner Ehefrau im Universitätsarchiv Frankfurt am Main wissen wir, dass zu seinen behandelnden Ärzten auch Dr. Emil Liefmann gehörte, der ebenfalls Mitglied der Frankfurter Sektion des Alpenvereins war.
Der Sohn Gerhard Ernst Neisser konnte in die USA (New York City) auswandern und änderte dort seinen Namen in Gerard Ernest Neisser. Er verstarb im Juni 1984 in Larchmont (New York). Emma Eleonore Neisser gelang im Oktober 1938 die Auswanderung zu ihrem Sohn Gerhard, doch ist sie bereits im November 1939 in New York City verstorben. Der zweite Sohn Klaus Otto Neisser ging nach Brasilien und lebte in Sao Paulo. Die Tochter Liselotte Dieckmann emigrierte mit ihrer Familie über Italien (1933) und die Türkei (1934) im Jahr 1938 ebenfalls in die USA, und zwar nach St. Louis (Missouri), wo sie 1994, nur drei Tage vor ihrem 92. Geburtstag, starb.
Max Neissers Tante Luise (Lise) Neisser beging zusammen mit ihrem Bruder, Prof. Dr. med. Ernst Richard Neisser, im Oktober 1942 in Ernsts Berliner Wohnung in der Eichenallee Selbstmord, um sich der Verfolgung zu entziehen. Während sie sofort starb, ist der Onkel erst etwas später im Jüdischen Krankenhaus in Berlin verstorben.
Quellen und Literatur
Universitätsarchiv Frankfurt, UAF Abt. 4, Nr. 1543; Abt. 14, Nr. 176 und Abt. 854, Nr. 1166
Dokumente zur Geschichte der Frankfurter Juden 1933-1945. Herausgegeben von der Kommission zur Erforschung der Geschichte der Frankfurter Juden. Frankfurt am Main 1963, S. 70, Dokument III 8: Professor Neisser, Direktor des Städtischen Hygienischen Universitäts-Institutes, an den Personaldezernenten, 29.3.1933.
Frankfurter Personenlexikon: Max Neisser, online abrufbar
Angela Laßleben: Max Neisser. Stationen im Leben eines deutschen Bakteriologen und Hygienikers. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin des Fachbereichs Humanmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Frankfurt am Main 1988.
Udo Benzenhöfer: Die Frankfurter Universitätsmedizin zwischen 1933 und 1945. Münster/Ulm 2012, online abrufbar