Familie
Marie Strasburger, um 1931. Das Foto war Bestandteil ihres Gesuchs um Zulassung zur Doktorprüfung an der Universität Frankfurt am Main vom 16. Januar 1931. Es liegt im Universitätsarchiv Frankfurt am Main, UAF Abt. 146, Nr. 683. Die Rechte am Bild liegen beim Universitätsarchiv Frankfurt, dem wir herzlich für die entgeltfreie Erlaubnis zur Veröffentlichung danken.

Marie, genannt Mariele, Anna Dorothea Strasburger wurde am 19. April 1905 in Bonn als Tochter von Prof. Julius Strasburger und der Marie-Edith Strasburger, geborene Nothnagel, geboren. Sie hatte drei Brüder: Eduard Hermann (1907-1945), Hermann Julius (1909-1985) und Gerhard Oskar Paul (1912-1993). Der Vater Julius Strasburger hatte einen protestantischen Vater, den Professor Eduard Strasburger (1844-1912). Seine Mutter war Alexandrine von Wertheim (1847-1902). Ihr in Warschau geborener Vater, der Bankier Julius Wertheim, war 1844 vom Judentum zum Protestantismus konvertiert. Ihre ebenfalls in Warschau geborene Mutter Johanna Dorothea Flamm, Tocher von Dawid und Zofia Flamm, war auch konvertiert.

Die evangelische Familie zog 1911 aus Bonn nach Breslau, weil der Vater dort eine außerordentliche Professur an der Universität erhalten hatte. Bereits im Jahr 1913 gingen sie nach Frankfurt am Main. Dort wurde Julius Strasburger Leiter des Therapeutikums und der medizinischen Poliklinik im städtischen Krankenhaus und im folgenden Jahr zudem Professor für Innere Medizin an der neu gegründeten Universität Frankfurt. Die Familie Julius Strasburgers wohnte in der Miquelstraße 44, später in Siesmayer-Straße umbenannt, im Frankfurter Westend.

Marie Strasburger schrieb in einem Lebenslauf aus dem Jahr 1931 über ihre Schullaufbahn: "Die Vorschule absolvierte ich in Bonn, Breslau, Homburg v.d.H. und Frankfurt a.M. Dann besuchte ich 5 Jahre das Lyceum der Victoriaschule zu Frankfurt, anschliessend die Victoria-Oberrealstudienanstalt, die ich Ostern 1924 mit dem Zeugnis der Reife verliess."

Marie Strasburger heiratete im Dezember 1933 in Frankfurt am Main und/oder in Leiden (Niederlande) den in Wien geborenen Franz Marius Theodor de Böhl Liagre (1882-1976). Er war evangelischer Theologe und ab 1913 Professor für Hebräisch/Altes Testament in Groningen sowie ab 1927 für Assyriologie an der Universität Leiden. Sie lebten in den Niederlanden und hatten vier Kinder: Marie Antoinette, genannt Netteke (geb. 1934), Eduard (1936), Elisabeth Catharina Dorothea, genannt Liesje/Elis (1938-2015) und den im Februar 1943 geborenen Herman Friedrich Ludwig Otto.

Beruflicher Werdegang
Studierenden-Ausweis von Marie Strasburger vom 17. April 1926. Dieser Ausweis liegt in der Akte des Universitätsarchivs Frankfurt am Main, UAF Abt. 604, Nr. 7542. Die Rechte am Bild liegen beim Universitätsarchiv Frankfurt am Main. Wir danken dem Universitätsarchiv herzlich für die kostenfreie Erlaubnis zur Veröffentlichung des Ausweises.

Nach dem Abitur Ostern 1924 absolvierte Marie Strasburger ein sogenanntes Maidenjahr in der Wirtschaftlichen Frauenschule Reifenstein mit dem Abschluss "Seminarmaidenexamen". Ab April 1926 studierte sie an der Universität Frankfurt am Main die Fächer Biologie, Chemie und Geografie mit dem Ziel, Lehrerin zu werden. Im Wintersemester 1927/28 wechselte sie an die Universität Bonn und kam zum Sommersemester 1928 wieder an die Frankfurter Universität zurück, nun mit den Hauptfächern Zoologie und Botanik sowie dem Nebenfach Geografie. Auf ihrer Anmeldekarte vermerkte sie als Ziel des Studiums weiterhin das Lehramt. Schließlich beendete Marie Strasburger ihr Studium im Juli 1932.

Marie Strasburger wurde an der Universität Frankfurt am Main mit der Arbeit "Bau und Funktion des Darmtraktus von Drosophila melanogaster Meigen, sowie Untersuchungen über die Variabilität einzelner Merkmale" in Zoologie promoviert. Ihre Dissertation erschien 1932 in Band 140 der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie und findet sich als Sonderdruck in ihrer Promotionsakte im Universitätsarchiv Frankfurt am Main.

In der Bewertung durch Prof. Dr. Otto zur Strassen, von 1914 bis 1934 erster Leiter des Zoologischen Instituts der Universität Frankfurt und zugleich Direktor des Senckenberg-Museums, heißt es: "Frl. Strasburger hat ihre Aufgabe mit Fleiß und Eifer durchgeführt. In der Wahl der Wege zeigt [sich] ein vollständiges Urteil, in der Ausführung anerkennenswerte Geschicklichkeit. Besonders erfreulich ist die Klarheit und (endlich einmal wieder!) stilistisch eine Form der Vorstellung."

Marie Strasburger wollte Lehrerin werden. Nach ihrer Auswanderung in die Niederlande hat sie diesen Beruf jedoch nicht ausüben können. Zum einen kümmerte sie sich um Haushalt und die vier Kinder. Zum anderen ist sie 1947 an einer bipolaren Störung schwer erkrankt. Daher konnte sie ein Studium der Biologie in den Niederlanden nicht durchführen und nur kurzfristig im Naturhistorischen Museum arbeiten.

Rolle in der Sektion
Bericht über Vorträge in der Studentischen Vereinigung im Wintersemester 1932/33, abgedruckt in: Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Nr. 3 vom Mai 1933, S. 23 (Ausschnitt).

Im Juli 1930 empfahlen die Professoren Walter Behrmann und Matthias Friedwagner die Aufnahme von Marie Strasburger, Stud. phil. nat., die bei ihren Eltern in der Miquelstr. 44 wohnte. Sie selbst hat im Jahr darauf zusammen mit Max Tasche die Aufnahme ihres Bruders Eduard Hermann Strasburger empfohlen. Marie Strasburger war in der Studentischen Vereinigung aktiv. So hat sie im März 1933 einen Vortrag über "Höhengrenzen in den Alpen" gehalten.

Ob Marie Strasburger nach ihrer Auswanderung in die Niederlanden im Jahr 1933 Mitglied der Frankfurter Sektion geblieben ist, wissen wir zurzeit nicht. Wahrscheinlich hat sie nicht mehr an den Veranstaltungen der Sektion teilgenommen. Es bleibt aber unklar, ob sie ausgetreten ist oder später doch noch als sogenannter "Mischling" ausgeschlossen wurde.

Verfolgungsschicksal

Marie de Liagre Böhl lebte in den Niederlanden, als die Wehrmacht das Land im Mai 1940 besetzte. Als sogenannter "Mischling 2. Grades", verheiratet mit einem Christen und Mutter von vier christlichen Kindern drohte ihr weder Verhaftung noch Deportation. So überstand sie ebenso wie ihre Kinder die Besatzungszeit unbeschadet. Allerdings schreibt Herman de Liagre Böhl, dass sein Vater, also Maries Ehemann, Franz de Liagre Böhl mehrfach von Offizieren des Sicherheitsdienstes (SD) verhört wurde. Marie de Liagre Böhl starb im November 1996 in Milsbeek (Niederlande).

Marieles Vater Julius Strasburger wurde wegen seiner jüdischen Vorfahren zum 1. Oktober 1934 zwangsweise in den Ruhestand versetzt, obwohl er sogenannter "Frontkämpfer" im Ersten Weltkrieg und Träger des Eisernen Kreuzes I. Klasse (verliehen im Dezember 1917) sowie bereits vor 1914 preußischer Beamter war. Kurz darauf verstarb er an einem Herzanfall. Walter Schmitthenner schrieb hierzu: "Niemand bezweifelte, daß der Tod des zuvor gesunden Mannes durch diese ihn tief kränkende und ihm im Grunde unverständliche Behandlung verursacht war."

Ihr Bruder Eduard H. Strasburger wurde von den Nationalsozialisten wegen seiner jüdischen Vorfahren als sogenannter "Mischling 2. Grades" verfolgt. Er durfte daher nach 1933 im Deutschen Reich nicht mehr habilitieren, sodass die von ihm angestrebte Universitätskarriere verfolgungsbedingt unmöglich war. Im Jahr 1938 ging er in die Niederlande und arbeitete auf Vermittlung von Marieles Ehemann, Prof. Dr. Franz Marius Theodor de Liagre Böhl (1882-1976), am Amsterdamer Institut für Hirnforschung. Ostern 1940 kehrte er nach Frankfurt zurück und arbeitete von Mai bis September 1940 an der von Prof. Karl Kleist geleiteten Nervenklinik der Stadt und Universität Frankfurt im Labor. Im Oktober 1940 ist Eduard H. Strasburger in die Wehrmacht eingezogen worden. 1943 kam er in eine Sanitätseinheit und erreichte den Dienstgrad eines Sanitätsobergefreiten. Er kämpfte nach September 1943 in Italien und später an der Ostfront. Seit März 1945 galt er als vermisst und wurde schließlich im Jahr 1961 für tot erklärt.

Auch der Bruder Hermann Strasburger durfte im nationalsozialistischen Deutschland nicht habilitieren. Gemäß eines Dokuments von März 1948 im Frankfurter Universitätsarchiv ist er als "Mischling 2. Grades" verfolgt und ihm im November 1936 deshalb endgültig eine Habilitation untersagt worden. Er konnte lediglich einige historische Beiträge publizieren, etwa die Artikel Nobiles und Optimates in der berühmten Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft. Im Mai 1940 musste auch er zur Wehrmacht, wurde Ende 1942 an die Ostfront geschickt und erlitt dort im April 1943 eine schwere Verwundung, sodass er als "Schwerkriegsbeschädigter" zurückkam. Erst im Mai 1945 wurde er aus dem Lazarett entlassen. Hermann Strasburger wurde schließlich Professor für Alte Geschichte in Frankfurt am Main und Freiburg im Breisgau. Er starb 1985 in der Schweiz und wurde in Freiburg beerdigt.

Quellen und Literatur

Universitätsarchiv Frankfurt am Main, UAF Abt. 146, Nr. 683 sowie Abt. 604, Nr. 7542

geni.com: Marie "Mariele" Anna Dorothea de Liagre Böhl, online abrufbar

Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin: Julius Strasburger, online abrufbar

Biografie von Herman de Liagre Böhl (niederländisch), online abrufbar

Herman de Liagre Böhl: Bijbel en Babel. Frans de Liagre Böhl, 1882-1976. Amsterdam 2021.

Walter Schmitthenner: Biographische Vorbemerkung. In: Hermann Strasburger: Studien zur Alten Geschichte. Hrsg. von Walter Schmitthenner und Renate Zoepffel. Band I. Georg Olms Verlag Hildesheim/New York 1982, S. XVII-XXXIV.

Gabriele Möbus-Weigt: Der Frankfurter Internist und physikalische Therapeut Julius Strasburger (1871-1934). Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnmedizin des Fachbereiches Humanmedizin der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Frankfurt am Main 1996.