Arthur Baer wurde am 4. Februar 1880 in Straßburg geboren. Er hatte zehn Geschwister. Baer heiratete dort am 29. Dezember 1914 die ebenfalls jüdische Franziska Cohn (geb. 8. Juli 1892). Ihr Sohn Alfred kam am 15. März 1917 in Straßburg zur Welt. Wann die Familie nach Frankfurt am Main kam, ist uns bisher nicht bekannt. Im Frankfurter Adressbuch von 1921 ist unter den Ärzten ein A. Baer mit der Adresse "Feldberg-Straße 51" verzeichnet. Hierbei dürfte es sich um Arthur Baer handeln. Da er im Adressbuch des Vorjahres noch nicht aufgeführt ist, wird die Familie Baer erst im Zuge der bis Oktober 1920 durchgeführten Vertreibungen von Deutschen aus dem Elsaß nach Frankfurt gekommen sein.
Der jüdische Mediziner Baer, seine Frau Franziska und sein Sohn Alfred, damals noch Schüler, traten laut dem Nachrichtenblatt der Sektion im Jahr 1932 dem Frankfurter Alpenverein bei. Sie wurden von zwei ebenfalls jüdischen Vereinsmitgliedern empfohlen, die damals herausgehobene Funktionen hatten: von Dr. Arthur Kutz, damals noch Vorstandsmitglied der Sektion, und dem Sportjournalisten Walter Bing, der ebenfalls zeitweise Vorstandsfunktionen hatte und sich stark für das Vortragswesen der Sektion engagierte. Die Familie Baer wohnte zu dem Zeitpunkt in der Bockenheimer Landstraße 112. Arthur Baer war praktischer Arzt.
Wir konnten bisher keine Angaben finden, an welchen Aktivitäten im Verein die Familie teilgenommen hat. Nach der Anfang 1934 beschlossenen Satzungsänderung durften jedenfalls sogenannte "Nichtarier" nicht im Verein bleiben, außer sie waren im Ersten Weltkrieg sogenannte Frontkämpfer oder schon vor 1914 Sektionsmitglied gewesen. Das erstere könnte allenfalls für Arthur Baer zutreffen, Franziska und Alfred Baer durften demnach nicht in der Sektion bleiben. Ob sie aktiv ausgeschlossen wurden, ist nicht bekannt. Allerdings dürfte es ab 1933 für sie aufgrund der raschen Gleichschaltung des Vereins schwierig geworden sein, an Veranstaltungen der Sektion mitzuwirken, wenn sie es denn gewollt hätten.
Die Arbeits- und Erwerbsmöglichkeiten des Arztes Dr. Arthur Baer dürften in den Jahren ab 1933, wie auch bei anderen jüdischen Ärzten, nach und nach immer mehr beschnitten worden sein. Am 30. Oktober 1938 ist Baer noch auf einer Liste der Mitglieder des Pflegeamts der Versorgungsanstalt der Israeliten in Frankfurt vermerkt. Die Versorgungsanstalt der Israeliten war ein jüdisches Altersheim. Es lag bis zur NS-Zwangsräumung 1942 im Röderbergweg 77. Im Mai 1942 wurde es in den Hermesweg 5-7 verlegt und die Bewohner:innen im August 1942 nach Theresienstadt verschleppt.
Belegt ist, dass die Familie Deutschland spätestens 1938/1939 verließ, denn Baer stellte im Mai 1939 in den USA einen Einbürgerungsantrag. Damals hielt er sich mit seiner Frau Franziska in New York auf. Aus dem Antrag geht hervor, dass das Ehepaar am 13. Januar 1939 aus dem französischen Cherbourg kommend mit der SS Hansa in New York eingetroffen war. Nicht auszuschließen ist auch, dass die Baers Deutschland schon früher verlassen und sich länger in Frankreich aufgehalten haben. Am 21. Juli 1942 taucht der Name des jüdischen Mediziners dann in einem Verzeichnis für das Finanzamt Frankfurt/Main-Ost über "Vorgänge betr. Verwaltung und Verwertung des verfallenen Vermögens ausgewanderter Juden" auf.
Sohn Alfred scheint im Frühjahr 1939 nicht mit den Eltern in den USA eingetroffen zu sein, sondern er hielt sich noch in Paris auf. Offenbar konnte er aber wenig später nachkommen. Das geht aus einem Schreiben Arthur Baers im August 1940 an Dr. Eduard Strauss hervor, einem jüdischen Chemiker, der in Frankfurt in verschiedenen jüdischen Vereinigungen religiöse Unterweisung betrieben hatte und Ende der 1930er Jahre mit seiner Frau nach New York geflohen war. Baer berichtete in dem Schreiben, dass er sich inzwischen als Arzt habe niederlassen können – nicht mehr in New York – und offenbar bereits zahlreiche Patientinnen und Patienten erfolgreich behandeln konnte. Er bat Strauss um Hilfe für seinen Sohn, der zu dem Zeitpunkt noch in New York lebte und soeben seinen Job verloren hatte. Offenbar wollte Sohn Alfred ebenfalls Medizin studieren. Arthur Baer schloss seinen Brief mit einer erschütternden Feststellung: „Wie entsetzlich unser geschichtliches Erleben, dessen Folgen nicht abzusehen und auf Jahrhunderte sich auswirkend.“
Arthur Baer starb am 17. April 1954 in Cleveland, Ohio. Seine Ehefrau Franziska siedelte in den Folgejahren nach Washington DC über und starb dort im Jahr 1970.
Ihr Sohn Alfred wurde, wie beabsichtigt, Arzt. Er lebte mit seiner Familie (Ehefrau Eva und den Kindern Barbary und Alan) ebenfalls in Washington DC und arbeitete bis 1993 als Internist und Rheumatologe. Daneben lehrte er an der Medizinischen Hochschule George Washington. Alfred Baer wurde 95 Jahre alt und starb im Juni 2012.
Im Baer'schen Schicksal sind insgesamt noch viele Fragen offen, denen wir weiter nachgehen. Wir freuen uns über Unterstützung!
Quellenangaben
Arolsen Archives, Online-Archiv: F 9-341, abgerufen 29.3.22: über Arthur Baer
Frankfurter jüdische Altenpflege und Altenhilfe - historischer Überblick, abgerufen 31.10.2024
https://www.legacy.com/us/obituaries/washingtonpost/name/alfred-baer-obituary?id=5992859, abgerufen 29.3.22: über Alfred Baer
Leo-Baeck-Institut New York, Sammlung Eduard Strauss 1854-1988
Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main
US-Holocaust Memorial Museum, Survivors and Victims Database, abgerufen 29.3.22