Rudolf Schild wurde im November 1873 als drittes Kind des jüdischen Bankiers Louis Schild (1831-1902) und der im unterfränkischen Niederwerrn geborenen Ida Nordschild (1841-1915), ebenfalls jüdisch, geboren. Die Nordschilds in Niederwerrn gehörten zu einer damals großen jüdischen Gemeinde, die einen erheblichen Anteil der Dorfbevölkerung ausmachte. So lebten 1836 rund 300 Juden neben 475 Christen in Niederwerrn, also waren rund 40 Prozent der Dorfbewohner jüdisch!
1873 betrieb Rudolfs Vater zusammen mit Isaac Nordschild (1847-1909, vermutlich ein jüngerer Bruder von Ida Schild) in der Neuen Kräme 25 das Bank- und Wechselgeschäft "J. Nordschild jun.". Rudolf Schild hatte vier Geschwister: Eduard Emanuel (1861-1916), Karl Max (1864-1931), Anna (1875-1927) und Alfred (1876-1890). 1873 wohnte die Familie in der Straße Trutz 21 (heute Im Trutz Frankfurt). 1880 betrieb der Vater nun zusammen mit Louis Scheidt das Bankgeschäft "Schild & Scheidt" in der Großen Eschersheimer Straße 5. Doch stieg der Vater auch aus diesem Bankgeschäft aus.
1893 finden wir Rudolfs Eltern in der Oberlindau 81. Der Vater betrieb nunmehr am Rossmarkt 2/4 sein eigenes Bankgeschäft unter dem Namen "Louis Schild". Rudolf Schilds Mutter Ida Schild fungierte hier als Prokuristin. Das Bankgeschäft J. Nordschild jun. bestand noch, damals jedoch mit der Anschrift Trutz 21. Louis Scheidt hingegen arbeite zu diesem Zeitpunkt zusammen mit Siegmund Weihermann als Wechselmakler im Gärtnerweg 9. Rudolfs älterer Bruder Eduard Schild wird als Kaufmann im Frankfurter Adressbuch des Jahres 1893 wie seine Eltern mit der Adresse Oberlindau 81 geführt.
Im Jahr 1900 bestand das Bankgeschäft Louis Schild immer noch am Rossmarkt 2/4, allerdings war dort auch der Bruder Eduard Schild neben der Mutter als Prokurist tätig. Einige Jahre später ist Eduard Schild zusammen mit Ferdinand Blum Inhaber des Bankgeschäfts "J. Nordschild jun." in der Straße Im Trutz 21. Rudolf Schild wird im Frankfurter Adressbuch 1900 als Dr. med., Assistenzarzt am Städtischen Krankenhaus, mit der Wohnadresse Gärtnerweg 229 geführt, während sein Bruder "Carl Max Schild", als Warenagent tätig, am Rossmarkt 2 wohnte. Vor seinem 1910 erfolgten Wegzug nach Berlin, wo bereits sein Bruder Karl Max Schild mit seiner Familie war, wohnte Dr. Rudolf Schild in der Wöhlerstraße 8, also im Frankfurter Westend unweit der Westendsynagoge.
Rudolf Schilds Eltern und auch sein ältester Bruder Eduard Emanuel Schild sind vor bzw. während des Ersten Weltkriegs auf dem Jüdischen Friedhof in der Rat-Beil-Straße in Frankfurt beerdigt worden. Er selbst ist evangelisch geworden. Rudolf Schild hat nicht geheiratet und war kinderlos.
Rudolf Schild studierte an der Universität München Medizin. Er wurde im Jahr 1898 mit einer Arbeit "Ueber Gastrostomie mit besonderer Berücksichtigung der neueren Methoden" an der Münchner Universität im Fach Medizin promoviert. Dr. Rudolf Schild arbeitete nach der Approbation zuerst in Frankfurt am Main am Städtischen Krankenhaus in der Inneren Abteilung und anschließend in Berlin am Universitätsklinikum.
Ab April 1903 praktizierte Dr. Rudolf Schild wieder in Frankfurt am Main, und zwar zusammen mit Dr. Bernhard Bär (1874-1912), einem Schwager des Arztes Theodor Plaut. Beide übernahmen das "Institut für diätetische und physikalische Behandlung" in der Wöhlerstraße 8 von Georg Kratzenstein, das dieser aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte. Laut des Frankfurter Adressbuches von 1906 betrieben Schild und Bär eine Privatklinik für innere Krankheiten und besaßen bereits ein Röntgenlaboratorium. Sie gehörten damit zu den Ärzten, die bereits früh mit Röntgenstrahlen arbeiteten. Entsprechend war Rudolf Schild Mitglied der 1905 in Berlin gegründeten Deutschen Röntgengesellschaft. Er demonstrierte die Ergebnisse seiner röntgenologischen Tätigkeit auch im Ärztlichen Verein zu Frankfurt.
Im Jahr 1910 ging Rudolf Schild wieder nach Berlin. Hier arbeitete er zunächst als Internist in der Aschaffenburger Straße 23 (Wilmersdorf). Während des Ersten Weltkriegs diente er als Stabsarzt in Spandau. Ab 1917 wohnte er dann in der Nachodstraße 11. Diese Wohn- und Praxisadresse in Berlin-Wilmersdorf behielt er bis an sein Lebensende 1936.
Neben seiner ärztlichen Tätigkeit hat er sich auch im Wissenschaftlich-humanitären Komitee betätigt, einer Interessenvertretung Homosexueller, die sich für die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlicher Kontakte unter Männern einsetzte. Im Jahr 1920 wurde er zum Obmann dieser Vereinigung gewählt. Darüber hinaus trat er als Vortragsredner auf und sprach zum Beispiel im Oktober 1921 in Berlin über "Sind die Homosexuellen zur Ehe geeignet? oder Das Eheproblem der Homosexuellen".
Dr. med. Rudolf Schild ist der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins im Jahr 1899 beigetreten. Er findet sich auch im Frankfurter Mitgliederverzeichnis von 1925 mit dem Wohnort Berlin aufgeführt. Obwohl Rudolf Schild 1910 nach Berlin gezogen ist, scheint er nicht in die Berliner Sektion des Alpenvereins eingetreten zu sein. Im dortigen Mitgliederverzeichnis von 1911 fehlt er genauso wie in den Verzeichnissen von 1920 oder 1929. Vermutlich wurde Rudolf Schild im Jahr 1924 für seine 25-jährigen Mitgliedschaft ausgezeichnet, ist er doch ununterbrochen als Mitglied der Frankfurter Sektion gelistet worden. Laut Jahresbericht der Sektion Frankfurt am Main erhielten in diesem Jahr 75 Mitglieder diese Auszeichnung, doch leider werden sie nicht namentlich aufgeführt.
Rudolf Schild wurde auf der Jahreshauptversammlung der Frankfurter Sektion im Februar 1937 unter den verstorbenen Frankfurter Mitgliedern namentlich genannt, denen die Sektion "ein treues Gedenken bewahren" wird. Dies ist deshalb erstaunlich, weil er aus einer jüdischen Familie stammte und im Januar 1936 wegen seiner Homosexualität in das Berliner Konzentrationslager "Columbia-Haus" verschleppt worden war, wo er sich mit Zyankali am 25. Januar 1936 das Leben genommen hatte. Dieses offizielle Gedenken der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins beweist zudem, dass Rudolf Schild nach 1933 weder aus der Sektion ausgetreten ist noch von ihr aktiv ausgeschlossen wurde. Dies war nur möglich, weil er lange vor 1914 Mitglied geworden war und daher unter die Ausnahmeregelung des in der NS-Zeit von der Sektion eingeführten sogenannten "Arierparagrafen" fiel.
Dr. Rudolf Schild wurde 1935 in Berlin in mehreren polizeilichen Verhören von sogenannten "Strichern" als männlicher Sexualpartner benannt. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den homosexuellen jüdischen Rechtsanwalt Kurt Fontheim wurde auch gegen Rudolf Schild ermittelt. Schließlich ist er am 7. Januar 1936 verhaftet und in das Konzentrationslager "Columbia-Haus" verschleppt worden. Dieses Vorgehen beruhte auf verstärkten Razzien auf Homosexuelle im Zuge der im September 1935 in Kraft getretenen Strafverschärfung des §175 StGB.
Viele der verhafteten Homosexuellen brachte die Gestapo damals in das Columbia-Haus. Dort stellten sie zeitweise etwa die Hälfte aller Gefangenen. Es ist bekannt, dass die Haftbedingungen in diesem Berliner KZ grausam und die hygienischen Zustände menschenunwürdig waren. Schwerste Misshandlungen von Häftlingen durch die Bewacher der SS waren an der Tagesordnung. Wachleute töteten auch gezielt homosexuelle Häftlinge. Vor diesem Hintergrund hat sich Rudolf Schild am 25. Januar 1936 im KZ Columbia-Haus mit Zyankali das Leben genommen.
Quellen und Literatur
Rudolf Schild: Ueber Gastrostomie mit besonderer Berücksichtigung der neueren Methoden. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde in der gesamten Medizin verfasst und einer Hohen medizinischen Fakultät der königlichen Bayerischen Ludwig-Maximilians-Universität zu München vorgelegt. München: Königliche Hof-Buchdruckerei Kastner & Lossen 1898.
Jahresberichte der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, online abrufbar
Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, online abrufbar
Frankfurter Adressbücher, online abrufbar
Frankfurter Personenlexikon: Rudolf Schild, online abrufbar
Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft e.V., Personenverzeichnis: Rudolf Schild, online abrufbar
Karoline Georg: Jüdische Häftlinge im Gestapogefängnis und Konzentrationslager Columbia-Haus 1933-1936. Berlin 2021.