Familie
Otto Kahn-Freund, ca. 1950

Otto Kahn-Freund wurde am 17. November 1900 in Frankfurt am Main geboren. Er war das einzige Kind des jüdischen Kaufmanns und Fabrikanten Richard Kahn-Freund und seiner 1873 in Dresden geborenen jüdischen Ehefrau Carrie (Carolin) Freund. Die Familie Kahn-Freund lebte bis 1900 in der Gutleutstraße 21 und danach im Blittersdorff-Platz 43. Otto wuchs in einem kultivierten jüdischen Elternhaus auf. So ist sein Vater beispielsweise im Jahr 1900 Mitglied des Frankfurter Vereins für Geographie und Statistik geworden, ebenso war er im Patronatverein bei Dr. Hoch's Conservatorium, der die Musikbildung in Frankfurt förderte, und hat sich aktiv in der 1928 gegründeten Deutsch-Französischen Gesellschaft, die sich für eine bessere Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich einsetzte, betätigt.

Otto Kahn-Freund war nicht gläubig. Dennoch war für ihn das Bewusstsein, Jude zu sein, der Grund für sein Streben nach Gerechtigkeit und die Sorge um die Benachteiligten. Und beides bildete die Basis für sein Interesse am Arbeitsrecht wie für seine sozialdemokratische Überzeugung. Er wurde 1922 Mitglied der SPD und war in der Gewerkschaftsbildungsarbeit aktiv, unter anderem als Dozent an der Akademie der Arbeit in Frankfurt.

Carrie Kahn-Freund starb bereits im November 1921 in Frankfurt. Zu dieser Zeit lebte ihr Ehemann bereits als Rentier und ging keiner Berufstätigkeit mehr nach. Im August 1931 heiratete Otto Kahn-Freund die damalige Jura-Studentin Elisabeth Klaiss, Tochter von Friedrich Klaiss. Elisabeth studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten in Leipzig und Berlin, war ebenfalls Mitglied der SPD und Hörerin an der Akademie der Arbeit. Beide hatten eine 1954 adoptierte Tochter, die in Deutschland geboren war.

Die Kahn-Freunds lebten nach der Flucht aus Deutschland ab 1933 in Großbritannien. Richard Kahn-Freund wohnte nach Beginn der NS-Diktatur weiter am Blittersdorff-Platz. Um 1935 ist er dann in die Jüdelstraße 7 umgezogen. Dies ist die letzte Frankfurter Adresse vor der Auswanderung nach Großbritannien. Auch Otto Kahn-Freund war im Frankfurter Adressbuch des Jahres 1936 unter dieser Adresse verzeichnet, obwohl er damals schon seit drei Jahren in London lebte. Laut einem Schreiben im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, hielt sich Otto Kahn-Freund ab 1933 in der britischen Hauptstadt auf, war aber bis August 1935 noch in Frankfurt am Main polizeilich gemeldet.

Beruflicher Werdegang
Georg Flatow/Otto Kahn-Freund: Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 nebst Wahlordnung, Ausführungsverordnungen und Ergänzungsgesetzen. Springer: Berlin. 13. Auflage 1931.

Otto Kahn-Freund besuchte die Vorschule des Wöhler-Realgymnasiums und dann das Goethe-Gymnasium in Frankfurt. Nachdem er im Juni 1918 die "Notreifeprüfung" abgelegt hatte, leistete er von Juni bis Dezember 1918 Heeresdienst im Feldartillerie-Regiment 63 in Frankfurt. Parallel dazu hat er sich am 26. September 1918 an der Universität Frankfurt immatrikuliert. Interessanterweise wurde auf seiner Anmeldekarte der Universität Frankfurt beim Studienfach zuerst Medizin vermerkt, aber dann gestrichen und Philosophie eingetragen. Als Wohnanschrift findet sich die Adresse seiner Eltern: "Blittersdorfplatz 43".

Tatsächlich studierte Otto Kahn-Freund zuerst Geschichte und Rechtswissenschaft an den Universitäten Frankfurt, Leipzig und Heidelberg, von Sommersemester 1921 bis Wintersemester 1922/23 aber nur noch Rechtswissenschaft. Im Juli 1923 legte er die erste Staatsprüfung in Frankfurt ab. Otto Kahn-Freund promovierte unter Hugo Sinzheimer, der von 1920 bis 1933 an der Frankfurter Universität eine Professur für Arbeitsrecht und Rechtssoziologie inne hatte, mit der Arbeit "Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages und Wiedereinstellungsklausel", die 1928 beim Verlag von Reimar Hobbing in Berlin als 15. Heft der Schriften des Instituts für Arbeitsrecht an der Universität Leipzig erschienen ist. Hugo Sinzheimer schrieb in seinem Gutachten zur Dissertation von Otto Kahn-Freund vom Dezember 1925:

"Bei allem entwickelt Kahn-Freund seinen Gedankengang in klarer, einfacher Sprache. Nirgends zeigt sich eine Uebersteigerung in irgend einer Richtung. Die Argumentation ist sicher und doch bescheiden. Alles Vorzüge, die sich aus der völligen Stoffbeherrschung des Verfassers ergeben. Ich habe keine Bedenken, die vorliegende Arbeit mit der ersten Note (ausgezeichnet) zu begutachten. Dem Verfasser ist dringend zu empfehlen, die Arbeit zu veröffentlichen."

Auch der Zweitgutachter, Prof. Dr. Friedrich H. Klausing, der seit 1921 an der Universität Frankfurt lehrte, kam zu einem sehr positiven Urteil: "Für eine Erstlingsschrift in der Tat eine ungewöhnlich reife Leistung, der ich auch die Note I. zuerkennen möchte." Zur Zeit der Promotionsprüfung Ende 1925 arbeitete Otto Kahn-Freund am Amtsgericht Frankfurt am Main. Er hat während seines Referendariats in der Kanzlei von Hugo Sinzheimer in der Goethestraße 26 mitgearbeitet. Im Mai 1927 legte er die zweite Staatsprüfung in Berlin ab und ging anschließend von Juni 1927 bis September 1928 in die USA und nach Großbritannien, um das angelsächsische Recht zu studieren.

Im Jahr 1928 wechselte Kahn-Freund nach Berlin und wirkte als Hilfsrichter zuerst unentgeltlich am Charlottenburger Amtsgericht bzw. ab November 1928 am Landgericht Berlin II. Seit Ende Januar 1929 ist er als Hilfsrichter am Arbeitsgericht Berlin tätig gewesen und ab Oktober 1929 dort als Amtsgerichtsrat und hauptamtlicher Vorsitzender. Dr. Otto Kahn-Freund war Mitglied der Vereinigung sozialdemokratischer Juristen. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge bis 1933 in deutschen juristischen Zeitschriften, aber auch 1931 das Buch: "Das soziale Ideal des Reichsarbeitsgerichts". Außerdem ist er Mitverfasser eines Kommentars zum Betriebsrätegesetz gewesen. Bereits im Jahr 1933 floh er nach Großbritannien.

Rolle in der Sektion

Das genaue Eintrittsdatum Otto Kahn-Freunds in die Frankfurter Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins ist zurzeit unbekannt. Im Verzeichnis der Mitglieder aus dem Jahr 1925 ist er nicht verzeichnet, sodass er erst nach diesem Jahr eingetreten sein kann. Laut Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main vom Februar 1928 hat er zusammen mit dem 1920 in die Sektion eingetretenen Georg B. Wagner die Aufnahme von Dr. Alfred Bock, Prokurist und wohnhaft Hans-Thoma-Straße 11, empfohlen. Dr. Bock (1888-1967) war Nichtjude, aber seit 1913 mit der Jüdin Margarete Alice Mayer verheiratet, die im Januar 1943 nach Auschwitz deportiert und dort im Februar 1943 ermordet wurde. Im Jahr 1928 mussten Mitglieder mindestens ein Jahr in der Sektion gewesen sein, bevor sie als Bürge für Neumitglieder fungieren konnten. Folglich ist Otto Kahn-Freund nach 1925, aber vor Februar 1927 in die Frankfurter Sektion eingetreten.

Ob die Frankfurter Sektion Otto Kahn-Freund mit der Einführung des sogenannten "Arierparagrafen" 1933 bzw. 1934 ausgeschlossen hat oder er selbst zuvor aus der Sektion ausgetreten ist, können wir zurzeit mangels entsprechender Quellen nicht sagen. Auch ein Wechsel zur Berliner Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins erscheint möglich. Doch ist er im Berliner Mitgliederverzeichnis des Jahres 1929 und in Ergänzungen der Jahre 1930 und 1931 nicht verzeichnet.

Verfolgungsschicksal
Otto Kahn-Freund: The Law of Carriage by Inland Transport. Stevens & Son: London. 4. Auflage 1965 (1. Auflage 1941)

Aufgrund des nationalsozialistischen "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 wurde Otto Kahn-Freund als Sozialdemokrat und Jude mit Schreiben vom 24. Juli 1933 aus seinem Richteramt entlassen. Er war allerdings bereits seit März 1933 beurlaubt worden. Kahn-Freund floh kurze Zeit darauf mit seiner Familie nach Großbritannien und wurde "post-graduate law student" an der London School of Economics and Political Science, bis er 1935 dort den Abschluss "Master of Laws" (LL.M.) erwarb. Im folgenden Jahr erhielt er seine Zulassung als Rechtsanwalt bei Gericht. Mitte 1936 holte er seinen Vater Richard Kahn-Freund aus Frankfurt nach London. Dieser verstarb im Juni 1942, kurz vor seinem 80. Geburtstag, im südenglischen Haslemere (Surrey).

Mit Bekanntmachung vom 30. März 1939 wurde Otto Kahn-Freund die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Im Mai 1939 folgte sodann die Entziehung seiner Doktorwürde durch die Universität Frankfurt. Doch bereits im Juni 1940 erhielt er die britische Staatsbürgerschaft.

Ab 1935 unterrichtete Otto Kahn-Freund an der London School in verschiedenen Positionen. Seine Ehefrau war Anfang der 1950er Jahre als "Psychiatric Social Worker" aktiv. Er hatte von 1964 bis 1971 eine Professur an der Universität Oxford in Comparative Law inne. In Großbritannien ist Otto Kahn-Freund ein sehr angesehener Jura-Professor gewesen, der 1976 sogar zum Ritter geschlagen wurde. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter des englischen und internationalen Arbeitsrechts nach 1945.

Otto Kahn-Freund starb im August 1979.

Quellen und Literatur

Universitätsarchiv Frankfurt, UAF Abt. 116, Nr. 318 und Abt. 604, Nr. 246

Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW Abt. 518, Nr. 18695 und 18708

Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins

Otto Kahn-Freund: Umfang der normativen Wirkung des Tarifvertrages und Wiedereinstellungsklausel. Berlin 1928.

Otto Kahn-Freund. Autobiographische Erinnerungen an die Weimarer Republik. Ein Gespräch mit Wolfgang Luthardt. Online abrufbar.

Bob Hepple: Biographical Note. In: In Memoriam Sir Otto Kahn-Freund. Hrsg. von Franz Gamillscheg u.a.. München 1980, S. XVII-XIX.

Thilo Ramm: Otto Kahn-Freund und Deutschland. In: In Memoriam Sir Otto Kahn-Freund. Hrsg. von Franz Gamillscheg u.a.. München 1980, S. XXI-XXXII.

Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900-1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit. Berlin 2016.