Familie
Ernst Witebsky, um 1960. Aus: Reinhard Rürup: Schicksale und Karrieren. Gedenkbuch für die von den Nationalsozialisten aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vertriebenen Forscherinnen und Forscher. Göttingen 2008, S. 455.

Ernst Witebsky wurde im September 1901 in Frankfurt am Main geboren. Seine Eltern sind der 1869 in Jurbarkas (Litauen) geborene Arzt Dr. med. Michael Witebsky und die 1873 in Arnstein geborene Hermine Witebsky, geb. Neuberger. Damals wohnte die Familie Witebsky in der Adalbertstraße 11 in Frankfurt-Bockenheim. Der Vater war praktizierender Arzt, Spezialist für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, und betrieb laut Mahlau's Frankfurter Adressbuch von 1901 in der Trierische Gasse 16 eine Poliklinik. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Ernst Witebskys Vater für das Lazarett des Frankfurter Vereins für jüdische Krankenpflegerinnen unter der Leitung von Dr. Adolf Deutsch (1868-1942) im Jüdischen Schwesternhaus, wo auch der jüdische Arzt Dr. Arthur Marum (seit 1912 Mitglied der Sektion Frankfurt am Main des DuÖAV) tätig war.

Ernst Witebsky hatte keine Geschwister. Er ging in Frankfurt am Main auf das Goethe-Gymnasium und machte dort im Jahr 1920 das Abitur. Zu dieser Zeit wohnte die Familie Witebsky in der Bockenheimer Landstraße 111. Dr. Michael Witebsky wurde nach dem Ersten Weltkrieg in den Frankfurter Adressbüchern als Frauenarzt geführt. In Heidelberg wohnte Ernst Witerbsky zuerst inder Albert-Ueberle-Straße 12 und dann bis zu seiner Auswanderung in der Goethstraße 18.

1936 heiratete Ernest Witebsky in Buffalo (USA) die ebenfalls aus Deutschland stammende Ruth Müller-Erkelenz (im Februar 1909 geboren). Sie hatten eine Tochter namens Grace Eleonor Witebsky, verheiratete Hamilton (1941-2004), und einen Sohn namens Frank G. Witebsky, der Ende der 1960er Jahre als Captain des Medical Corps der Air Force arbeitete.

Beruflicher Werdegang
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg: Personalverzeichnis für das Winterhalbjahr 1930/31 und Vorlesungsverzeichnis für das Sommerhalbjahr 1931. Heidelberg 1931, S. 51 (Ausschnitt).

Ernst Witebsky studierte ab Sommersemester 1920 an der Universität Frankfurt am Main Medizin. Dies dürfte durch seinen Vater, der als Frauenarzt tätig war, und seinen Onkel Julius Neuberger (ein älterer Bruder der Mutter), der als Hals- Nasen-, Ohrenarzt in Frankfurt in der Bockenheimer Landstraße 68 arbeitete, angeregt worden sein. 1925 legte Ernst Witebsky an der Universität Frankfurt sein medizinisches Abschlussexamen ab. Im selben Jahr wurde er an der Universität Heidelberg mit der Arbeit "Über die Erzeugung von 'Labilitätsreaktionen' durch Calciumchlorid beim serologischen Luesnachweis mittels Ausflockung" promoviert. Diese Arbeit erschien 1924 in Jena und zugleich 1925 in der Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie.

Dr. med. Ernst Witebsky arbeitete danach in der III. Medizinischen Klinik der Universität Berlin sowie am Institut für experimentelle Krebsforschung der Universität Heidelberg. Im Jahr 1929 habilitierte sich Ernst Witebsky an der Universität Heidelberg mit der Arbeit "Disponibilität und Spezifität alkohollöslicher Strukturen von Organen und bösartigen Geschwülsten", die ebenfalls in der Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie veröffentlicht wurde. Im Juni 1929 erhielt er von der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg die Venia legendi für Imunitätslehre und Serologie. Er lehrte in Heidelberg vom Wintersemester 1929/30 bis zum Sommersemester 1933 als Privatdozent. Zum Beispiel las er im Sommersemester 1931 über "Ergebnisse und Probleme der Blutgruppenforschung". Diese Vorlesung war für Medizinier und Juristen gedacht. 1933 wurde Ernst Witebsky als Juden durch die Nationalsozialisten die Lehrbefugnis entzogen, obwohl er mindestens seit 1925 Schweizer Staatsbürger war.

Er hatte bis 1933 bereits 74 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und galt laut Reinhard Rürup "als einer der besten Fachleute auf dem Gebiet der Serologie". Ernst Witebsky wanderte noch 1933 in die Schweiz aus und emigrierte im folgenden Jahr in die USA. Dort setzte er seine wissenschaftliche Karriere fort. Noel R. Rose nannte ihn 1970 einen der Begründer der modernen Immunologie und charakterisierte ihn wie folgt: "Through his brilliant research and inspired teaching, he has left an imprint on contemporary medicine equalled by few."

Rolle in der Sektion

Ernst Witebsky ist der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins als Student im Jahr 1922 beigetreten. Im Mitgliederverzeichnis von 1925 ist er als einziges Familienmitglied aufgeführt. Ob er nach seiner Auswanderung in die Schweiz 1933 aus der Sektion ausgetreten ist oder aufgrund des 1934 in der Satzung der Sektion verankerten sogenannten "Arierparagrafen" als Jude ausgeschlossen wurde, entzieht sich zurzeit unserer Kenntnis. Auch wissen wir nicht, in welchem Rahmen Ernst Witebsky bis 1933 an Veranstaltungen der Frankfurter Sektion teilgenommen hat.

Verfolgungsschicksal
Grabstein von Ernest Witebsky auf dem Friedhof Forest Lawn in Buffalo (NY).

Nachdem die Familie Witebsky 1933 in die Schweiz ausgewandert war, ist Ernst Witebsky kurzzeitig an der Universität Genf tätig gewesen. 1934 ging er in die USA und wirkte zuerst am Mount Sinai Hospital und am Beth Israel Hospital in New York City. In den USA änderte er seinen Vornamen in Ernest. Im Jahr 1936 ging er als Associate Professor an die School of Medicine der Universität von Buffalo (New York). Zugleich arbeitete er für das Buffalo General Hospital. Bereits 1939 erhielt Ernest Witebsky die US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Von 1941 bis 1967 war Dr. Ernest Witebsky Professor und Direktor des Department of Bacteriology and Immunology der Universität von Buffalo. Er war einer der wichtigsten Immunologen der USA. 1958 erhielt er die Ehrendoktorwürde in Medizin von der Universität Freiburg i. Br. Gelegentlich ist er in Deutschland auch tätig gewesen, so 1965 an der Universität München. Im folgenden Jahr wurde er aufgrund seiner umfassenden Forschungen zum Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina gewählt. Professor Ernest Witebsky wurde der erste Direktor des im Juni 1968 eröffneten Center for Immunology in Buffalo und blieb es bis zu seinem plötzlichen Tod im Dezember 1969.

Seine Ehefrau Ruth Witebsky starb 1995 im Alter von 86 Jahren in Buffalo (New York, USA). Seine Tochter Grace E. Hamilton ist im Jahr 2004 verstorben. Beide sind wie Ernest Witebsky auf dem Friedhof Forest Lawn in Buffalo beerdigt worden.

Quellen und Literatur

Ernst Witebsky: Über die Erzeugung von "Labilitätsreaktionen" durch Calciumchlorid beim serologischen Luesnachweis mittels Ausflockung. Fischer: Jena 1924 (medizinische Dissertation) sowie erschienen in der Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie, Band 39 (1925), S. 105-129.

Ernst Witebsky: Disponibilität und Spezifität alkohollöslicher Strukturen von Organen und bösartigen Geschwülsten. Fischer: Jena 1929 (Habilitationsschrift) sowie erschienen in der Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie, Band 62 (1929), S. 35-73.

Noel R. Rose: In Memoriam. Ernest Witebsky, M.D. 1901-1969. In: American Journal of Clinical Pathology. Vol. 54 (1970), S. 432-434.

Nachruf auf Dr. Ernest Witebsky von Felix Milgrom, online abrufbar

Reinhard Rürup: Schicksale und Karrieren. Gedenkbuch für die von den Nationalsozialisten aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vertriebenen Forscherinnen und Forscher (=Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus, Bd. 14). Göttingen 2008, S. 367-369: Eintrag zu Ernst (Ernest) Witebsky.

Frankfurter Adressbücher, online abrufbar