Paul Doctor wurde am 10. September 1910 in Frankfurt am Main als Sohn des Arztes Dr. Ernst Doctor und der Helene Doctor, geb. Brüll, geboren. Beide Eltern waren jüdisch. Wahrend der Vater aus Walldorf (bei Meiningen) in Thüringen stammte, kam die Mutter aus Lichtenfels in Bayern. Ihre Familie war in der Jüdischen Gemeinde Lichtenfels fest verankert: Zwei Brülls stifteten im Jahr 1840 das Grundstück für den Jüdischen Friedhof von Lichtenfels und die Familie stellte mit Benny Brüll um 1878 sogar den Gemeindevorsteher.
Dr. Ernst Doctor betrieb eine Praxis für Haut- und Harnleiden auf der Zeil und hatte vor dem Ersten Weltkrieg eine Poliklinik in der Mainzer Landstraße 145, bei der laut der Frankfurter Adressbücher der damaligen Zeit "Unbemittelte" unentgeltlich behandelt wurden. In den 1910er Jahren wohnte die Familie Doctor in der Körnerstraße 4 (im Westend), während sich die Arztpraxis auf der Zeil mit Eingang in der Hasengasse 19 befand. Pauls jüngerer Bruder Hans wurde im April 1917 in Offenbach geboren. Damals war der Vater als Kriegsassistenzarzt am Festungslazarett Straßburg im Elsaß tätig. Nach dem Ersten Weltkrieg ist die Familie Doctor in die Rossertstraße 9, ebenfalls im Westend, umgezogen. Paul Doctor ging auf das Wöhler-Realgymnasium in Frankfurt und erwarb dort Ostern 1929 seine Hochschulreife.
Dr. Paul Doctor heiratete die 1913 in Berlin geborene Marie Luise, genannt Mieze, Ginsberg. Ihre Tochter Anne Sophia wurde im August 1940 und ihr Sohn Bernard Arthur im November 1942 jeweils in Alicedale in Südafrika geboren. Der Sohn starb jedoch wenige Tage vor seinem 18. Geburtstag. Seine Schwester überlebte ihn nur um knapp zwei Monate und verstarb mit 20 Jahren bereits im Januar 1961. Marie Luise Doctor ist im November 1984 im Alter von 71 Jahren in Kapstadt verstorben. Paul Doctor starb schließlich im Dezember 1998. Alle vier wurden auf dem Jüdischen Friedhof in Uitenhage, einem Vorort von Port Elizabeth, beerdigt.
Nachdem Paul Doctor am Wöhler-Realgymnasium in Frankfurt die Reifeprüfung abgelegt hatte, begann er sein Studium der Medizin im Sommersemester 1929 an der Universität Frankfurt. Damals wohnte er bei seinen Eltern in der Rossertstraße 9, also im Westend, und zwar nah zum Palmengarten und zur Westendsynagoge. Nach zwei Semestern wechselte er die Universität, um bereits im Wintersemester 1930/31 wieder an die Frankfurter Universität zurückzukehren.
Mit der Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten 1933 mussten alle "nichtarischen" Studierenden einen Fragebogen ausfüllen, um die Erlaubnis zur Fortsetzung des Studiums zu erhalten. Diesen Fragebogen hat Paul Doctor am 4. Mai 1933 ausgefüllt und unterschrieben abgegeben. Er musste zum Beispiel die Frage beantworten, seit wann seine Familie in Deutschland ansässig ist. Seine Antwort lautete: "Väterlicherseits nachweisl[ich] seit mindestens 1805 in Walldorf (S[achsen]-Meiningen)[.] Mütterl[icher]seits seit mindestens 1745 in Lichtenfels (Bay[ern])". Als letztes sollte er Angaben machen, welche sonstigen für seine Weiterzulassung zum Studium sprechenden besonderen Gesichtspunkte er anzugeben habe (z.B. Bruder gefallen). Hier trug Paul Doctor Folgendes ein:
"Bruder meines Vaters 27. IV. 17 vor Reims gefallen. Bruder meiner Mutter Kriegsfreiwilliger, Reserve-Leutnant und Kompagnieführer, 6 mal verwundet, besitzt E.K. I. und II. Kl[asse]. Großvater war 1870/71 Kriegsfreiwilliger und Reserveleutnant."
Tatsächlich durfte Paul Doctor das Medizinstudium an der Frankfurter Universität fortsetzen. Er ließ sich im Wintersemester 1934/35 beurlauben und legte das medizinische Staatsexamen schließlich am 18. Dezember 1934 in Frankfurt erfolgreich ab. Um den Doktortitel erwerben zu können, ging er an die Universität Bern in der Schweiz und wurde dort 1935 mit einer Arbeit zum Hohlfuß im Röntgenbild promoviert.
Eine Approbation als Arzt konnte Dr. Paul Doctor in Deutschland nicht mehr erhalten, also auch die Praxis des Vaters in Frankfurt nicht übernehmen. Deshalb wanderte er im März 1936 nach Johannesburg (Südafrika) aus. Sein Medizinstudium wurde ihm dort aber nur zum Teil anerkannt. Daher studierte er von April 1936 bis Dezember 1938 erneut Medizin an der Universität Witwatersrand. Am 17. Dezember 1938 erhielt er endlich die Erlaubnis, als Arzt in Südafrika praktizieren zu können. Seine Tätigkeit begann er in Nigel (Transvaal), einer südwestlich von Johannesburg liegenden kleinen Goldminenstadt. 1940, bei der Geburt seiner Tochter, lebte die Familie in der kleinen Siedlung Alicedale, etwa 80 km nordöstlich von Port Elizabeth gelegen.
Paul Doctor trat 1932 der Sektion Frankfurt am Main bei - zu einer Zeit, als bereits in zahlreichen anderen Sektionen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins Juden nicht mehr Mitglied werden konnten. Paul Doctor war damals Student und wohnte in der Rossertstraße 9. Empfohlen wurde seine Aufnahme laut Nachrichten-Blatt der Sektion Frankfurt am Main des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins Nr. 3 vom März 1932 durch Dr. E. Doctor. Im Jahr 1932 wohnte laut Adressbuch der Stadt Frankfurt ein Dr. med. E. Doctor, Spezialarzt für Haut- und Harnleiden, in der Rossertstraße 9. Hierbei handelt es sich um den im März 1937 in Frankfurt am Main verstorbenen jüdischen Arzt Dr. Ernst Isaak Doctor.
Da E. Doctor die Empfehlung zur Aufnahme in die Sektion abgegeben hat, müsste er selbst ebenfalls Mitglied der Frankfurter Sektion gewesen sein. Im Verzeichnis der Mitglieder aus dem Jahr 1925 findet sich allerdings nur eine Dr. Erna Doctor, die der Sektion 1920 beigetreten ist. Hierbei kann es sich nicht um die Mutter von Paul Doctor handeln, da diese Helene heißt. Nach 1925 können wir gegenwärtig aber keinen Neueintritt durch Dr. Ernst Doctor belegen. Somit bleibt unklar, ob und wann der Vater von Paul Doctor der Frankfurter Sektion beigetreten ist. Bei dem Eintrag im veröffentlichten Mitgliederverzeichnis aus dem Jahr 1925 könnte auch versehentlich Erna statt Ernst eingetragen worden sein. Dies ist auch deshalb plausibel, weil in dem Buch von Birgit Drexler-Gormann über "Jüdische Ärzte in Frankfurt am Main 1933-1945. Isolation, Vertreibung, Ermordung", im Jahr 2009 in Frankfurt erschienen, unter den jüdischen Ärzten nur Ernst Doctor aufgeführt ist. Aber letztlich bleibt es Spekulation, bis wir einen Beleg für die Mitgliedschaft Dr. Ernst Doctors finden.
Dr. E. Doctor hat zusammen mit Otto Strohecker im November 1932 die Aufnahme von Heinz Viebahn, der in der Schwindstraße 22 wohnte, in die Sektion Frankfurt empfohlen. Bei Heinz Viebahn handelt es sich um den Sohn des Reichsbahnoberinspektors Wilhelm Viebahn. Auch Otto Strohecker war laut Frankfurter Adressbuch des Jahres 1932 Reichsbahnoberinspektor, wohnte aber in der Schopenhauerstraße 2. Strohecker erhielt 1933 für die 25-jährige Mitgliedschaft im Alpenverein das silberne Abzeichen.
Ob Paul Doctor unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 aus der Frankfurter Sektion wieder ausgetreten ist oder nach der Einführung des sogenannten "Arierparagrafen" ausgeschlossen wurde, können wir mangels Quellen derzeit nicht sagen.
Paul Doctor konnte sein Medizinstudium zwar im Dezember 1934 mit Ablegen der ärztlichen Prüfung vor dem Prüfungsausschuss in Frankfurt am Main abschließen, musste aber als Jude zur Promotion an die Universität Bern ausweichen. In der Schweiz studierte er von Januar bis Juli 1935 und wurde im selben Jahr mit einer Arbeit über den Hohlfuß im Röntgenbild promoviert. Im Deutschen Reich war es Juden zu dieser Zeit nicht mehr möglich als Arzt den Doktortitel zu erwerben oder eine Praxis zu eröffnen. Daher ist Dr. Paul Doctor im März 1936 nach Johannisburg (Südafrika) ausgewandert. Dort musste er ab April 1936 noch einmal an der Johannisburger Universität Witwatersrand Medizin studieren. 1938 wurde er schließlich in Südafrika als Arzt anerkannt und konnte nun in seinem Wunschberuf tätig sein. Er lebte zuerst in Nigel (Transvaal), einer südwestlich von Johannesburg liegenden kleinen Goldminenstadt. Paul Doctor ist im Dezember 1998 in Port Elizabeth (Südafrika) verstorben.
Sein Vater, Dr. Ernst Doctor, starb im März 1937 im Alter von nur 64 Jahren in Frankfurt am Main. Seinen Tod vermerkte das Gemeindeblatt der Israelitischen Gemeinde Frankfurt im Heft 8 vom Mai 1937. Dies belegt, dass die Familie Doctor auch während der nationalsozialistischen Verfolgung ihre Verbundenheit mit der Frankfurter Jüdischen Gemeinde aufrecht hielt. Paul Doctors Mutter Helene und der jüngere Bruder Hans konnten ebenfalls nach Südafrika auswandern. Die Gestapo beschlagnahmte die Hälfte des Verkaufserlöses des Frankfurter Hauses in der Sophienstraße 58 samt Grundstück im April 1939 wegen der zuvor erfolgten zwangsweisen Ausbürgerung von Paul Doctor. Zu dieser Zeit lebten bereits alle Familienmitglieder außerhalb Deutschlands.
Helene Doctor verstarb 1956 im Alter von fast 70 Jahren. Hans Doctor ist in Sidney (Australien) im Dezember 1998, nur sechs Tage nach seinem älteren Bruder, verstorben.
Quellen und Literatur
Universitätsarchiv Frankfurt am Main, UAF Abt. 604, Nr. 4231
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, HHStAW Abt. 518, Nr. 10511
Paul Doctor: Der Hohlfuss im Röntgenbild. Zusammenfassung. Diss. Med. Bern. Bern 1935.
Arwin Mahdavi Naraghi et. al.: Erinnerung konkret werden lassen. Ein Versuch anamnetischer Solidarität durch die Erforschung von Biographien jüdischer Studierender an der Goethe-Universität. In: Sabine Andresen et al. (Hgg.): Erziehung nach Auschwitz und bis heute. Aufklärungsanspruch und Gesellschaftsanalyse. Frankfurt am Main 2019, S. 61-79, zu Paul Doctors Biografie S. 73-75.